Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
als ich Atem schöpfe und wir vor die Skulptur eines nackten, aus Stricknadeln geformten Torsos treten. »Nur eines macht mir Kopfzerbrechen.«
Ich weiß sofort, was es ist. »Oh nein, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.« Ich erinnere mich noch an das Entsetzen meines Vaters, als Daniel sich geweigert hatte, vor dem Essen einen Sherry mit ihm zu trinken. »Er ist nicht bei den Anonymen Alkoholikern. Tatsache ist, man könnte ihn sogar als echten Weinkenner bezeichnen.« Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder der Skulptur zu und stelle fest, dass der Künstler sogar Stricknadeln in verschiedenen Größen verwendet hat. Flüchtig wandern meine Gedanken zu Rosemary, einer leidenschaftlichen Strickkünstlerin, und ich frage mich, was sie dazu sagen würde.
»Ich rede nicht vom Wein, Schatz, sondern von Sex.«
Die Röte schießt mir ins Gesicht. »Lionel«, stöhne ich und sehe mich um, in der Hoffnung, dass uns niemand gehört hat.
Wie erwartet ignoriert er mich. »Du hast es nicht erwähnt«, beharrt er ohne den leisesten Hauch von Verlegenheit. »Und das macht mir Sorgen.« Väterliche Besorgnis zeichnet sich auf seiner Miene ab. »Und?«
Die meisten Väter verabscheuen den Gedanken, dass ihr kleines Mädchen erwachsen geworden ist, und ich kenne endlos viele Geschichten von Freundinnen über ihre eifersüchtigen Väter, die drohen, jeden Kerl zu verprügeln, den sie im Schlafzimmer ihrer Tochter erwischen. Aber mein Vater ist nicht wie die meisten anderen Väter, denn als Künstler hat er dem menschlichen Körper gegenüber eine sehr offene Einstellung.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, ist es. Er ist der perfekte Gentleman«, erkläre ich knapp. Und ein klein wenig trotzig. »Was nach Daniel …« Ich lasse meine Stimme demonstrativ im Raum verklingen. Lionel weiß über Daniel Bescheid. Nach unserer Trennung habe ich stundenlang mit ihm telefoniert, meistens weinend, trotzdem weigert Lionel sich, ihn zu verurteilen. Stattdessen hat er mir unermüdlich zugehört, bis er eines Abends leise sagte: »Das Leben besteht aus einer Fülle von Erfahrungen, Heather. Eine ist zu Ende gegangen, aber das bedeutet nur, dass eine andere anf ängt.«
»Hast du dich nach Mums Tod auch so gefühlt?«, hätte ich ihn am liebsten schluchzend gefragt. »Ist das der Grund, weshalb du Rosemary geheiratet hast?« Aber ich habe meine zornigen Tränen niedergekämpft und versucht, seine Worte anzunehmen. Schließlich war nicht Lionel derjenige, der mich betrogen hatte, sondern Daniel.
»Ah, ja, natürlich.« Lionel nickt verständnisvoll. »Du willst nicht noch einen Ganoven, stimmt’s?«
Das Wort »Ganove« lässt mich an einen charmanten Gentlemanverbrecher im Nadelstreifenanzug denken, was mir ein Lächeln entlockt. »Hinterhältiger Mistkerl ist die Bezeichnung, die ich normalerweise für ihn übrig habe.«
Lionel lacht fröhlich. »Und das solltest du auch«, erklärt er und entbindet sich für einen Moment von seiner Neutralität. »Zu meiner Zeit wäre der Vater mit dem Gewehr auf einen Kerl losgegangen, wenn er erfahren hätte, dass er seine Tochter betrügt.« Er trinkt aus und schüttelt den Kopf. »Aber damals war eben alles noch ein wenig anders. Es gab einen unausgesprochenen Verhaltenskodex, an den man sich gehalten hat. Als ich deine Mutter kennen gelernt habe, musste ich ihren Vater um Erlaubnis fragen, bevor ich ihr den Hof machen durfte.«
»Warst du nervös?«
»Und wie. Ich habe gezittert wie Espenlaub.«
Ich versuche, mir diesen Bären von einem Mann vor Angst schlotternd vorzustellen, doch es ist unmöglich.
»Dein Großvater war ein furchteinflößender Mann«, fährt er fort. »Es waren schon eine Menge Verehrer auf der Strecke geblieben, bevor ich gekommen bin, das kann ich dir sagen.«
»Du musst sehr verliebt gewesen sein«, meine ich lachend.
»Vom ersten Augenblick an, als ich sie gesehen habe«, bestätigt er leise, drückt meinen Arm und sieht mich auf diese ganz bestimmte Weise an, wie er es oft tut, wenn wir von ihr sprechen.
Wir verfallen in Schweigen und gehen weiter zum letzten Objekt, eine Reihe schwarzer und weißer Würfel. Aber ich nehme sie kaum wahr. Stattdessen denke ich noch immer über meine Eltern nach, versuche sie mir mit Anfang 20 vorzustellen, als sie sich kennen gelernt haben. Lionel hat Recht: Damals war alles anders, aber irgendetwas an meiner Beziehung zu James fühlt sich genauso an. Es ist fast, als würde er mir den Hof machen. Zuerst unsere Verabredung im Restaurant,
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