Der Wunschzettel - Be Careful What You Wish For
wohlwollend an, während er noch ein paar Häppchen auf eine Serviette häuft. Sie kichert, und zwischen den beiden entspinnt sich ein harmloser Flirt, obwohl sie höchstens Anfang 20 sein kann.
Mit belustigter Zuneigung beobachte ich die beiden. Ich kann immer nur staunen, wie fasziniert die Menschen von Lionel sind. Natürlich kann ich es gut verstehen - er ist schließlich mein Vater -, aber er hat diese magische Wirkung auf alle Menschen, denen er begegnet. Im Lauf der Jahre habe ich aufgehört, meine Freundinnen zu zählen, die von ihm geschwärmt haben, meine Freunde, die so sein wollten wie er, und die Studenten, für die er ein lebendes Idol war. Und ich rede hier nicht nur von denen, die ihn kennen, sondern auch von wildfremden Verkäuferinnen, von Parkplatzwächtern und von dieser Kellnerin, die errötet und ihn bewundernd anhimmelt.
»Nimmst du gar nichts?« Lionel hat bemerkt, dass ich nichts zu essen in der Hand habe, und runzelt die Stirn. »Ich hoffe, du wirst nicht eine von diesen dyslektischen Frauen.«
»Du meinst anorektisch«, flüstere ich, während ein unglaublich dürres Model an uns vorbeiweht und uns einen Blick zuwirft. »Und, nein, das werde ich nicht. Aber wo wir gerade beim Thema Gewicht sind - Ed findet, du könntest ein paar Pfund abnehmen.«
»Ach, was weiß der schon«, stöhnt Lionel, und nimmt sich trotzig noch eine Mini-Quiche. »Ehrlich - das hier solltest du mal probieren. Köstlich.«
Angesichts dieses offenkundigen Versuchs, das Thema zu wechseln, bin ich beinahe versucht, es ihm nicht durchgehen zu lassen. Vielleicht hat Ed ja Recht: Lionel scheint tatsächlich ein bisschen mehr auf den Rippen zu haben als sonst, und möglicherweise sollte er seinen Weinkonsum etwas einschränken. Ich sehe zu, wie er seinen Merlot in großen Schlucken trinkt, den die »nette Kellnerin« ihm gebracht hat. Andererseits genießt er sein Leben. Ich entscheide mich dagegen. Pfeif drauf. Soll er doch seinen Spaß haben. Ich werde später mit ihm reden, aber bis dahin -
»Ich dachte, wir sind wegen der Ausstellung hier und nicht wegen des Essens«, erkläre ich.
»Sind wir auch, sind wir auch.« Er wirft der Kellnerin einen entschuldigenden Blick zu und klappt seine Broschüre auf wie eine Spanierin ihren Fächer. »Also, dann …« Er mopst sich noch eine Mini-Quiche vom Tablett, schiebt sie sich in den Mund und legt schwungvoll den Arm um mich. »Dann wollen wir uns mal ein bisschen Kunst ansehen.«
Die Ausstellung erweist sich als recht interessant, und die nächste halbe Stunde gehen wir herum und sehen uns die diversen »Installationen« an, während Lionel mir tapfer die symbolische Bedeutung einer Waschmaschine zu erklären versucht, die zerlegt und in Einzelteilen auf einem schmutzigen Flokatiteppich verteilt wurde.
Ich verstehe es nicht. In diesen Dingen bin ich eine völlige Banausin. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Ich bin zahlendes Mitglied der Tate Modern und war einige Male in der Saatchi Gallery, doch eine in Formaldehyd eingelegte Kuh gibt mir einfach nichts - im Gegensatz zu Turners »Sturm« in der Nationalgalerie.
Ironischerweise mache ich Lionel für mein mangelndes Kunstverständnis verantwortlich. Mit einem Vater aufzuwachsen, der sich eisern in seinem Atelier abschottet, hat mich zu der Überzeugung gelangen lassen, dass mit Malen etwas Magisches verbunden ist. Manchmal durften Ed und ich vor dem Zubettgehen seine geheime Welt betreten. Dann saßen wir auf seinem mit Ölfarbe bekleckerten Schoß und atmeten den Terpentingeruch ein, während er uns irgendwelche seltsamen und wunderbaren Geschichten über Maler erzählte, die sich das Ohr abgeschnitten oder aus Hummern Telefone angefertigt haben. Wir liebten diese Blutrünstigkeiten und waren begeistert von seinen Gutenachtgeschichten.
Aber wir wussten auch, dass sie unser kleines Geheimnis waren. Mum hätte ihn umgebracht, wenn sie je dahinter gekommen wäre, dass es nicht seine Version von Aschenputtel war, die uns bewog, brav und mit weit aufgerissenen Augen ins Bett zu klettern.
»Und, wie läuft es so?«, erkundigt er sich nun, als er meinen abwesenden Blick sieht und bemerkt, dass ich seiner Erklärung, die Waschmaschine sei das Symbol für die außer Kontrolle geratende Erderwärmung, nicht länger lausche.
»Ziemlich gut.« Ich bin froh, dass es ausnahmsweise der Wahrheit entspricht und ich es nicht nur sagen muss, um die Besorgnis meines Vaters zu zerstreuen. »In ein paar Wochen haben wir eine
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