Der Wunschzettelzauber
Sally, die auf dem Weg zu einer Party auf dem Lande war, hatte ihren Wagen in zweiter Reihe vor dem Laden abgestellt und war hineingeeilt, um sich den erstbesten Rotwein zu schnappen, der ihr vor die Augen kam. Durch ihre Sonnenbrille konnte sie, aus dem gleiÃenden Sonnenlicht kommend, in dem dunklen Laden den groÃen, gelehrt wirkenden Mann, der mit einer Weinflasche in der Hand vor einem Regal mit Loire-Rotweinen stand, nicht sehen und stieà ungebremst gegen ihn. Philip lieà die Flasche Saumur-Champigny, deren Etikett er gerade studierte, fallen, und sie zersprang in tausend Scherben.
Sally hatte innerlich geflucht, weil dieser Zwischenfall sie noch mehr Zeit kostete, aber auch, weil sie zerbrochenes Glas für einen Unglücksboten hielt. Rasch entschuldigte sie sich und bot an, den Wein zu ersetzen. Philip aber, wie geblendet von Sallys strahlender dunkelhaariger Schönheit und ihrer ausgefallenen exotischen Kleidung, hatte das abgelehnt und behauptet, der Zusammenstoà sei nur seine Schuld gewesen, und dass der Saumur-Champigny sowieso überschätzt würde. Und dann hatte er, völlig untypisch für ihn, Sally hinaus zu ihrem Wagen begleitet und sie gebeten, mit ihm auszugehen, wobei er schon fest mit einem Korb rechnete. Philip glaubte sie so unerreichbar für ihn, dass er gerade deswegen den Sprung ins kalte Wasser wagte. Sie war so schön, dass es diesen Versuch wert war â einfach nur, um die Begegnung noch ein paar Minuten in die Länge zu ziehen. Leicht stammelnd hatte er Covent Garden als Treffpunkt vorgeschlagen und hinzugefügt, dass er Feuer und Flamme sei.
Sally hatte die Sonnenbrille abgenommen und ihn rasch und gründlich gemustert. Sie befand, dass er ziemlich gut aussah, gepflegt und mit ernst blickenden braunen Augen. Allerdings fehlte ihnen die gewisse Härte, das gefährliche Funkeln, das ihr an Männern gefiel. Er war nicht ihr Typ, nicht im Geringsten. Oben wurde sein Haar sogar schon ein wenig dünn â er hatte aber ein gut geschnittenes Gesicht, das keine gestylte Haarmähne brauchte, um Eindruck zu machen. Und es war keine Spur von Arroganz und Eitelkeit an ihm. Er trug einen Leinenanzug. Und passende Schuhe dazu. Wow , dachte Sally, auf, auf, zum fröhlichen Jagen .
»Feuer und Flamme?«, hatte sie amüsiert wiederholt. »Sie lassen wohl nichts anbrennen, was? Wir sind uns doch gerade erst begegnet. Na ja, vorsichtig gesagt.«
»Ich bitte um Entschuldigung«, hatte Philip erwidert. »Ich habe mich zu ungenau ausgedrückt.«
Sally lehnte sich mit dem Rücken gegen ihren Wagen und verschränkte die Arme in einer entspannten, keineswegs abweisenden Geste. Die melodiöse, gepflegte Stimme des Fremden gefiel ihr, und sie wollte mehr hören.
»Ich meinte für Opern«, erklärte Philip. »Wir könnten uns im Royal Opera House treffen und in der Pause zwischen den Akten was Kleines essen. Mögen Sie Hummer?« Dann hatte er tief Luft geholt und gewartet. Entzückt beobachtete er, wie Sally ihn durch ihre Wimpern hindurch anblickte und wie sich auf ihrem Gesicht langsam ein Lächeln ausbreitete. Sie war tatsächlich immer noch da, hatte ihn nicht zum Teufel gejagt â noch nicht, jedenfalls. Da nahm er all seinen Mut zusammen und spielte seinen höchsten Trumpf aus: »Mögen Sie zufällig auch Verdi?«
Sally war noch nie im Leben in der Oper gewesen. Ihr Musikgeschmack beschränkte sich auf Pop- und Rockmusik, und der Name Verdi kam ihr genauso exotisch und abseitig vor wie Sansibar, obwohl sie zumindest auf Sansibar schon gewesen war. Da sie aber mutig und allem Neuen gegenüber aufgeschlossen war, fand sie, dass man alles im Leben einmal probieren musste â einschlieÃlich einer Kombination von Hummer und Verdi. Wie schlimm konnte das denn schon werden? Damals hatte sie Ja zu Philip gesagt und es seitdem nie bereut.
Chloe mochte Philip und hatte groÃe Achtung vor ihm, aber sie hatte es zuerst kaum glauben können, dass es ihm gelungen war, eine Powerfrau wie Sally einzufangen und vor allem auf Dauer zu halten. Chloe führte es darauf zurück, dass er Sally zu einem Zeitpunkt begegnet war, als sie allmählich ein Bedürfnis nach mehr Stabilität und Sicherheit in ihrem Leben, einschlieÃlich eines geregelten Familienlebens, entwickelte. Philip war ganz offensichtlich freundlich, verantwortungsvoll und solide â der perfekte
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