Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wunschzettelzauber

Der Wunschzettelzauber

Titel: Der Wunschzettelzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Zagha
Vom Netzwerk:
Vater. Umgekehrt schien Philip von Sallys Energie hin- und mitgerissen. Ihr Humor, mit dem sie das Alltagsleben meisterte, bewahrte ihn vor seiner eigenen Neigung zur Melancholie. Anscheinend war auch das Leben in einem Elfenbeinturm viel lustiger, wenn man es mit einem schönen, klugen und witzigen weiblichen Energiebündel teilen konnte.
    Dies alles schien eine weitreichende Erklärung für die Dynamik in Philips und Sallys Ehe, doch gab es da noch etwas anderes, einen Faktor, auf den Sally bei einer Gelegenheit einmal angespielt hatte: eine absolut umwerfende sexuelle Kompatibilität.
    Dieses Phänomen, das Sally als den »Philip-Effekt« bezeichnete, hatte sie selbst überrascht. Denn anfangs hatte sie auf neugierige Fragen nur geantwortet hätte, dass sie Philip sehr gernhätte und nichts weiter.
    Und es war einfach wie aus dem Nichts heraus geschehen. Mit seinem seltsam konservativen Geschmack war Philip Sally anfangs wie eine Art Urlaub von der Modewelt erschienen, in der Sally gerade als Stilistin für eine besonders esoterische Jugendzeitschrift arbeitete. Es war einfach nett – entspannend, sogar befreiend –, mit ihm zusammen Dinge zu unternehmen. Er kam ihr fast wie ein schwuler bester Freund vor, hätte er nicht manchmal vergangene Beziehungen zu Frauen erwähnt. Mit der sensiblen Cellistin hatte es am längsten gehalten, und es hatte auch eine hervorragende Cembalo­spielerin in seinem Leben gegeben.
    Das war Philips Welt: ernsthafte Musik. Sally hatte inzwischen eine genaue Vorstellung von dem Musikgeschmack ihres Freundes und hatte sich ihre eigenen Ansichten darüber gebildet. Verdi? Nun ja, irgendwie interessant mit den Bühnenszenen und den Kostümen und all dem Kram, aber herrje, viel zu langatmig. Aber ­wenigstens gab es zum Ausgleich danach Hummer und Champagner. Wenn sie an den Pierre-Boulez-Auftritt in der Royal Albert Hall dachte, fielen ihr allerdings nur zwei Worte ein, um das Erlebnis zu beschreiben: absolut grausam . Es war wie ein ganz schlimmer Horrortrip gewesen, mit vielen plötzlichen, entsetzlich lauten Geräuschen, bei denen sie vor Schreck schier aus der Haut fuhr. Unmöglich, sich bei einer solchen Lärmkulisse innerlich zurückzuziehen und an etwas anderes zu denken (wie sie es bei Opern manchmal tat). Wenn das ihr erstes Date gewesen wäre – was es natürlich nicht war –, dann hätte Pierre Boulez wahrscheinlich dem Ganzen sofort ein Ende gesetzt. Aber da saß Philip nun, der liebe Philip, und lauschte dem wüsten Tohuwabohu auf der Bühne ehrfurchtsvoll, und Sally biss die Zähne zusammen und wartete ergeben auf den Schluss.
    Pharoah Sanders, der berühmte amerikanische Jazz-Saxophonist, war schon eher ihr Fall. Der kauzige alte Musiker mit viel Gefühl für weiche, vibrierende Klänge war cool und charismatisch, und sie bewunderte ihn sehr. Außerdem fand das Konzert in Soho statt, und Sally kannte genau die richtige gemütliche, kleine Kneipe, in die sie Philip danach auf ein paar Cocktails führte. Dort nippte er vorsichtig an einem starken, gefährlich aussehenden Gebräu mit dem Namen Der Gesetzlose und sprach eine Weile über Klangteppiche, Glissandos und Tonleitern, über Monk und Coltrane, während Sally ihm mit ihrer üblichen Mischung aus Aufmerksamkeit und Ironie zuhörte, die ihn jedes Mal faszinierte.
    Dann bremste er sich selbst: »Nun ja, man sollte Musik auch nicht überanalysieren. Es geht ja schließlich nicht darum, Musik theoretisch zu konstruieren, nicht wahr? Man sollte sie entdecken, wenn man sie hört.«
    Â»Ganz ähnlich wie in der Mode«, pflichtete Sally ihm bei. Dann erzählte sie ihm von ihren eigenen Idolen, den Modezaren: Alexander McQueen zum Beispiel und Kit Maddox, dessen Experimentierfreude keineswegs nachgelassen hatte, nachdem er nach Paris gegangen war. Philip hörte ihr fasziniert zu und fragte sich nicht zum ersten Mal, was für ein Gefühl es wohl wäre, über ihr Haar zu streichen. Vor allem, wenn er mit ihr im Bett läge.
    Ihre Gespräche hatten einen guten, ausgewogenen Rhythmus. Und dann entdeckten sie eines Tages zufällig, dass ihre Welt und seine Welt gar nicht so weit voneinander entfernt waren, wie sie glaubten.
    Als es an Sally war, einen Vorschlag für einen gemeinsamen Abend zu machen – sie wechselten sich dabei immer ab –, nahm sie Philip zu einer

Weitere Kostenlose Bücher