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Der Wunschzettelzauber

Der Wunschzettelzauber

Titel: Der Wunschzettelzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Muriel Zagha
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kommen? Es fiel Antoines Mutter bestimmt auch nicht leicht, aber immerhin war sie schon so oft an dem Grab gewesen, dass sie Chloe sicherlich eine Stütze wäre.
    Chloe verlor sich in Gedanken. Schließlich, als sie merkte, dass der Zug in den Bahnhof einlief, erhob sie sich mit Nicolas, der in seinem Umhängetuch noch immer fest schlief, griff nach ihrer Tasche und stieg aus. Eine Weile stand sie verwirrt auf dem Bahnsteig, denn er wirkte fremd, und Jeannette Regard war nirgends zu sehen.
    Chloe brauchte eine Weile, bis sie begriff, dass sie an der falschen Station ausgestiegen war: in Montbard, nicht in Dijon. Und als sie ihr neues Handy hervorholte, um ihre Schwiegermutter anzurufen, stellte sie fest, dass es nicht funktionierte. Sie hatte vergessen, die Auslandsfunktion aktivieren zu lassen.
    Zitternd stand sie in dem kalten Wind, der über den Bahnsteig pfiff. Genau in diesem Augenblick wachte Nicolas auf und begann, hungrig zu schreien. Der Wartesaal war geschlossen – wegen Reinigungsarbeiten. Dann machte auch noch der Kellner im Bahnhofscafé Theater und wollte nicht, dass sie Nicolas dort stillte. Er meinte, sie solle das auf dem Parkplatz erledigen. Chloe wies darauf hin, dass es draußen kalt wäre und dass sie kein Auto hätte. Noch nie hatte ihr Französisch mehr wie Kauderwelsch geklungen, und sie fühlte, wie ihre Stimme immer schriller wurde, und Nicolas schrie, und die anderen Gäste sahen auf, und genau in diesem Augenblick tauchte der Fremde auf wie von einem gütigen Schicksal gesandt. Er meisterte die Lage bewundernswert. Er lieh ihr sein Handy, damit sie Jeannette anrufen konnte, und überredete inzwischen den Kellner des Cafés, eine Ecke mit hohen Servierwagen abzuschirmen, so dass sie dort Nicolas in Ruhe stillen konnte. Dabei ließ er sie allein, besorgte ihr aber vorher noch einen Becher heiße Schokolade. Chloe legte sich Nicolas an die Brust, und allmählich beruhigte er sich und hörte auf zu weinen, und sie ebenfalls.
    Als sie sich schließlich erhob und suchend umherblickte, kam der freundliche Fremde wieder und erklärte, dass mit dem nächsten Zug nach Dijon erst in fast zwei Stunden zu rechnen wäre. Dann setzte er sich zu Chloe und hielt Nicolas sehr fachmännisch, während sie voll Heißhunger ein Schinkensandwich verschlang. Danach musste sie wohl eingeschlafen sein, denn das Nächste, was sie mitbekam, war, dass ihr Kopf bequem auf einer breiten Schulter ruhte und der Fremde sie vorsichtig wachrüttelte, da ihr Zug einfuhr und sie ihn nicht verpassen durfte. Noch halb benommen hatte sie ihm die Hand geschüttelt. Es blieb ihr keine Zeit mehr, nach seinem Namen oder seiner Telefonnummer zu fragen. Und so war ihre Begegnung mit dem »unglaublich netten Kerl, dessen Name ich nie erfahren werde « verlaufen.
    Sie hatte seit damals oft an ihn gedacht. Die Begegnung mit ihm, diese Freundlichkeit eines fremden Menschen war eines der Dinge, die ihr halfen, nicht an der Welt zu verzweifeln. Das Leben bestand nicht nur aus geisterhaften verlassenen Spielplätzen, an denen sich nervige Perverse herumtrieben. Nein, es gab auch eine sonnige, freundliche Welt, sie musste nur den Weg dahin zurückfinden. Die Begegnung hatte ihr auch ihren Besuch an Antoines Grab leichter gemacht, hatte sie aufgebaut und gestärkt. Letztendlich war sie dann doch mit Jeannette zusammen zum Grab gegangen, und das war richtig so. Es hatte ihr gutgetan, ihren Kummer mit Antoines Mutter zu teilen.
    Sie hatte sich oft vorgestellt, wie es wäre, jenem Fremden eines Tages plötzlich wieder zu begegnen, und was sie zu ihm sagen würde. Aber würde sie ihn überhaupt wiedererkennen? Sie war sich nicht sicher. Er war größer als sie gewesen, daran erinnerte sie sich. Blaue Augen in einem breiten, sonnenverbrannten, besorgten Gesicht, dichtes blondes Haar … war es blond gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Nun ja, nicht gerade eine exakte Beschreibung. Aber er würde sich wohl an sie erinnern. Das war einer der Vorteile, wenn man rotes Haar hatte.
    Abgesehen von diesem Erlebnis in Montbard hatte Chloe nur verschwommene Erinnerungen an die nächsten Besuche bei ihren Schwiegereltern, solange Nicolas noch ein Baby war. Damals überkam sie in ihrem Kummer um ihren verlorenen Mann noch ständig das heulende Elend, und sie musste für ihre Schwiegereltern ein anstrengender Gast gewesen sein. Trotzdem hatten ihr diese Besuche

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