Der Wunschzettelzauber
mit ihrer grausam kurzen Ehe, mit Antoines Tod abzufinden. Und nun, da sie wieder begonnen hatte vorwärtszublicken, achtete sie ganz besonders auf diese Zeichen â Zufälle oder Ãhnliches, die ihr das Leben präsentierte. Das war Chloes Philosophie. Achtsam, aufmerksam sein, die Augen offen halten.
Ein klares, eindeutiges Zeichen, oder besser zwei. Das war es, was sie jetzt brauchte.
Darüber dachte Chloe nach, während sie zusammen mit ihren Schwiegereltern in der Gesellschaft von etwa zweihundert Franzosen in Abendkleidung herumstand und Champagner trank.
Das Erlebnis mit dem verlorenen und wiedergefundenen Diamanten hatte sie so sehr erschüttert, dass ihr diese Winterhochzeit im Burgund, zu der sie schon vor Monaten eine Einladung erhalten hatte, wie ein von der Vorsehung gesandter Vorwand erschien, für eine Weile aus London zu flüchten. Das Hochzeitspaar war Camille und Pierre aus Petit Mulot, die sich schon von Jugend auf liebten. Camilles Eltern gehörten zu den engsten Freunden der Regards. Sie hatten Antoine aufwachsen gesehen und waren auch Chloe und Nicolas sehr zugetan.
Chloe war froh, sich nach Frankreich aus dem Staub machen und damit Abstand zwischen sich und den verwirrenden Erinnerungen an jenen Abend im Theater schaffen zu können.
Die Fahrt zur Bahnstation St. Pancras, wo sie und Nicolas den Eurostar bestiegen, gab ihr fast das Gefühl, auf der Flucht zu sein.
Und tatsächlich, dachte Chloe jetzt mit seltsamer Erleichterung, gab es keinen gröÃeren Gegensatz zu dem ausgeflippten Experimentaltheater als diese wunderschöne Hochzeit auf dem Lande.
Nach der kirchlichen Trauung hatte sich die ganze Versammlung auf den Weg zu einem herrlichen Renaissanceschloss gemacht, das für diesen Anlass gemietet worden war. Chloe konnte sich gut vorstellen, wie zauberhaft die Szenerie an einem milden, in Gold und Grün leuchtenden Sommerabend gewesen wäre. Aber es hatte auch eine ganz eigene Romantik, sich dem Schloss im Fackelschein zu nähern und die imposanten Steinmauern und Türme wie in einer Bleistiftzeichnung aus dem bleichen Winternebel auftauchen zu sehen.
Bevor sie sich der Feier anschlossen, posierte das Hochzeitspaar für die Fotografen am Ufer des Sees in der Nähe des Narrenturms aus dem achtzehnten Jahrhundert. Durch ein Fenster blickte Chloe gedankenvoll zu der dunkelhaarigen Braut hinüber, die in austernfarbenem Samt unglaublich schön war, und zu den Brautjungfern, die sich Kunstpelz-Stolen über ihre schräg geschnittenen Kleider gewickelt hatten. Ja, eine Winterhochzeit hatte ihren eigenen Reiz.
Später, als in der Orangerie ganz nach alter Sitte der vin dâhonneur serviert wurde, stand Chloe mit ihren Schwiegereltern und deren Bekannten in einer Gruppe zusammen und sog die berauschende Atmosphäre französischer Kultur in sich ein. Die Konversation drehte sich um die zahlreichen Verbindungen zwischen den einzelnen Familien, um Besitztümer an Grund und Boden und um die Machenschaften der verlogenen Zentralregierung in Paris, weit, weit weg vom Burgund. Die Freunde der Regards beschwerten sich über die Einmischung der groÃstädtischen Technokraten in die Angelegenheiten der Winzer und waren sich zugleich einig, dass die Weinindustrie in Frankreich gröÃere finanzielle Unterstützung brauchte.
Diese Themen berührten Chloe nicht sonderlich, und sie hatte auch nicht viel beizutragen, beteiligte sich aber dennoch höflich an dem Gespräch und genoss es, Französisch zu sprechen. AuÃerdem wusste sie, wie sehr es den Regards gefiel, sie bei sich zu haben und herumzuzeigen.
Nicolas rannte mit einer Schar Gleichaltriger zwischen den Erwachsenen herum, genau wie die anderen Kinder dem Anlass entsprechend in wunderhübscher Festtagskleidung. Sollten sie je nach Petit Mulot ziehen, dachte Chloe verträumt und nahm einen kleinen Bissen von dem köstlichen Gougère-Käse, dann könnte ihr Leben immer so aussehen.
Das Hochzeitsessen, eine Art Gala-Diner bei Kerzenlicht, fand in den alten Gewölbekellern des Schlosses statt. Die Kinder würden zusammen nebenan in einem kleineren Raum essen, wo sie unter der Obhut von Babysittern Spiele und einen Malwettbewerb machen würden. Später würden sie dann hinauf in einen improvisierten Schlafsaal gebracht werden, während für die Erwachsenen zum Tanzen aufgespielt würde.
Chloe studierte die Sitzordnung, die
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