Der Zauber der Casati
bekannt.
Die Freuden einer Fernbeziehung. Auf das Läuten des Telefons warten, tausendfach den Betrug fürchten. Ich glaube, ich hatte Angst, mich terrorisierte die Idee, er könne nicht mehr ein Teil meines Lebens sein. Ich glaube. Es ist nicht immer leicht, sich an etwas Intensives zu erinnern. Das Gedächtnis dämpft die Dinge ab, irgendwann sagt man, man sei nicht wirklich verliebt gewesen, nicht wirklich deprimiert, nicht wirklich glücklich. Die Gegenwart ist intensiver, allein darum sollten wir an ihr hängen.
Allerdings kann das Gedächtnis sich auch an besonders schmerzhaften Momenten festbeißen und sie im Nachhinein verstärken. Meine Erinnerungen an die Monate nach seiner Abreise sind grauenhaft. Ich war entsetzlich mager. Mager und krank. In jenem Sommer beschloss ich zu leben. Jedes Wochenende war ein schwarzes Loch. Unter der Woche rief er mich jeden Tag heimlich aus dem Büro an, aber am Wochenende dauerten unsere Gespräche kaum Sekunden. Das Warten zerriss mir das Herz, die unendlich vielen Phantasiebilder, wie er mich betrügt. Eine Frau, die liebt, weiß, wann man sie belügt, und sei es über Tausende Kilometer. Bei einer dieser Visionen wurde ich sogar ohnmächtig. Ich war mit meiner Mutter und meiner Schwester am Strand. Schönes Wetter. Ein Sommer aus Horror und Lügen. Er versuchte, mich aus Japan zu beruhigen. Er musste meine Halluzinationen und Eifersuchtsanfälle dermaßen leid sein. Ich weinte, schrie, beleidigte ihn. Ich wartete den ganzen Tag auf seinen Anruf, und wenn es endlich so weit war, drehte ich durch. Ich stürzte mich auf den Hörer, überschüttete ihn mit einer Flut Beschimpfungen und legte mitten im Satz auf. Danach konnte ich ihn nicht mehr erreichen und verzweifelte schier. Er sollte mich wieder anrufen, aber mein Schöner nutzte die Gelegenheit und war gekränkt. Ich harrte auf seine Rückkehr, entschlossen, die Augen zuzumachen. Wenn er mich nur in die Arme nahm und geschickt log.
Zwei Tage bevor ich ihn wieder am Flughafen abholen wollte, zwei Tage bevor mein Albtraum endlich zu Ende wäre – ich war eine wacklige Rekonvaleszentin mit Angst vor der Zukunft und hatte mich zwei Wochen lang nicht mehr erbrochen –, lernte ich denjenigen kennen, der wenige Monate darauf mein erster Ehemann werden sollte.
Ich suche Ähnlichkeiten. Vielleicht sollte ich keine Verbindungen zwischen Luisa und mir suchen, sondern zwischen ihr und Caesar. Ich verließ alles, um Caesar zu folgen, und zwar, weil er mich in eine Welt ohne Zwänge zu bringen versprach. Freie Menschen faszinieren mich, die ich von Geburt an verantwortungsbewusst, folgsam und eine brave Schülerin war. Und Luisa ist die freieste Frau, von der ich weiß.
Meine Hochzeitsreise war weit davon entfernt, ideal zu sein. Wie Luisa und Camillo nahmen wir den Zug, einen alten Klapperzug von Moskau nach Peking. Die Transsibirische war immer ein Traum von mir gewesen. Durch menschenverlorene Gegenden fahren, auf harten Holzbänken, mit Gerumpel und kreischenden Bremsen. Wenn dann nach schlafloser Nacht die Sonne am Horizont über der Steppe aufgeht, kein Baum, kein Haus, keine Menschenseele, und die Welt goldbraun tönt, kommt man sich vor, als führe man über einen grünen Ozean. In den Dörfern am Rande der Strecke schien die Zeit stehengeblieben, riesige, stillgelegte Fabriken mit ihren reglosen Kränen und Abraumgebirgen wirkten wie von Geistern bewohnt. Wenn der Zug haltmachte, musste man schnell aussteigen. Auf dem Bahnsteig verkauften Babuschkas, ihre geblümten Tücher um den Kopf gewunden, Gürkchen aus Eimern mit Lake, getrockneten Fisch in Zeitungspapier, gekochte Kartoffeln und wilde Beeren. Wir kauften alles, was wir bekamen, denn im Bordrestaurant gab es nichts außer matschigem Borschtsch und grässlichen Schnitzeln. Hier saßen russische Militärs auf dem Weg nach Wladiwostok und tranken lauwarmen Wodka, ohne jemals umzukippen, und mongolische Händler, die Gesichter wie aus Stein gehauen, sangen und tanzten mit ihnen. Weitertrinken! Ipa! Ipa! Ein Pech für meinen Liebsten, dass ich die Transsib mit dem Orient-Express verwechselt hatte. Für ihn hätte die ideale Reise darin bestanden, in einen reinweißen Bademantel gehüllt am Pool bunte Cocktails zu trinken. Von den Bordtoiletten war er ganz entsetzt, die dank eines ingeniösen Schlauchs auch als Dusche dienten; man steckte ihn einfach auf den Wasserhahn und besprenkelte sich dann inmitten der Schwaden von Uringeruch mit eiskaltem Wasser.
Im
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