Der Zauber der Casati
Nachhinein besehen bestand dieses ganze Eisenbahnabenteuer aus nichts als Irrtümern und Enttäuschungen. Schon die Reise nach Moskau war eine Katastrophe. Er hasste es zu fliegen und konnte nicht eine halbe Stunde auf seine Zigaretten verzichten. Im Taxi, das uns ins Hotel brachte, weinte ich leise. Er war verängstigt und aggressiv und hatte sich bereits daran gewöhnt, seine Launen an mir auszulassen.
Von Anfang an gab es Zeichen dafür, dass es schlimm ausgehen würde. Ich deutete sie als Indizien für eine ganz außergewöhnliche Liebe. Sich mit Haushaltsdingen zu beschäftigen, wies er schon mal ganz und gar von sich. Einmal, als der Kühlschrank leer war, schickte ich ihn einkaufen. Ungläubig brach er auf, den Korb am Arm, wie zur Schmetterlingsjagd, um zwei Stunden später wiederzukommen, mit drei Netzen Orangen im Korb. Ruhig erklärte ich ihm, dass wir nichts im Haus hätten, weder Butter noch Milch noch Brot … Er antwortete, die Orangen seien das einzige Schöne gewesen, das er im Supermarkt gefunden hätte. Vielleicht wollte er mich verladen, aber ich fand das ja ach so poetisch. Sobald er sich diese Art Extravaganzen leistete, nannte ich ihn «mein Poet» und schilderte meiner Umgebung, welch ein Glück ich doch hätte: «Mit ihm gibt es keine Langeweile!» Er machte es sich recht einfach, weigerte sich, die Welt mit ihren Zwängen zur Kenntnis zu nehmen. Allein schon per Telefon eine Zugfahrkarte bestellen zu sollen, machte ihn rasend. Er warf den Apparat zu Boden und schrie: « You do it!» Sobald er wütend wurde, machte sich seine amerikanische Herkunft bemerkbar. Ich war zwar verliebt und blind, aber dumm war ich nicht. Mir war schon klar, dass es unmöglich sein würde, mit einem Mann eine Familie zu gründen, bei dem man nicht wusste, ob er in der nächsten Minute lossingen würde, ein Nudelsieb auf dem Kopf, oder sich stumm in sich selbst verkroch. Diese Unkalkulierbarkeit war allerdings wie berauschend, er respektierte gar nichts, und ich, die immer so höflich gewesen war, fand das einfach hinreißend. Ja, meine Liebe würde ewig währen. Caesar war schön, er war brillant, und es ging ihm mit sich selbst sehr schlecht. Er nahm es der ganzen Welt übel, dass er nicht geworden war, was man ihm verheißen hatte. Eine seit der Kindheit wohlgenährte Frustration. Seine Mutter hatte ihm das Blaue vom Himmel herunter versprochen, eine glänzende Zukunft, sie hatte ihm versichert: «Du sitzt auf einer Goldmine, du wirst steinreich!» Leider hat sie ihm nie die Schippe hingehalten und gesagt: «Und jetzt grab!» Wir stammten von zwei radikal verschiedenen Planeten; meine Mutter hatte mir immer gepredigt, es gebe nur eine Größe, die im Leben zähle, und das sei Arbeit. Meine Erziehung lässt sich in drei Sätzen zusammenfassen: «Gib dir nur genug Mühe, mein Töchterchen, dann wirst du es schon schaffen.» – «Bei uns gibt es keine Faulenzer.» Und: «Gib dich keinen Illusionen hin, Camille, dir werden keine gebratenen Tauben in den Mund fliegen!»
I ch habe meine Geschichte mit Caesar schon früher beschrieben. Zuerst in meinem persönlichen Tagebuch. Zwei Jahre später dann in einem Buch, und jetzt mache ich mich daran, die Wahrheit in ihr Recht zu setzen.
Ich habe gerade einen Anfall von Hellsicht. Ich kann nicht über Caesar sprechen, ohne dass es mich auf Jade zurückbringt. Ich horche mich ab, es soll die Wahrheit sein, nichts als die Wahrheit. Die heutige Wahrheit, denn jede der drei Versionen ist für sich ehrlich. Wenn die Geschichte jedes Mal eine andere ist, dann weil ich mich verändert habe. Im Tagebuch schreibe ich aus der frischen Empfindung, ohne jede Distanz. Als ich meinen ersten Roman schrieb, lebte ich noch mit ihm zusammen und wollte ihm gefallen, wollte unsere Beziehung künstlerisch verarbeiten. Autobiographien sind voll großartiger Fallstricke. Heute will ich mich schützen, mich überzeugen, dass ich gut daran getan habe, ihn zu verlassen, und dass die späteren Ereignisse, die ich ja kenne, das belegen.
Heute kann ich mir eingestehen, dass ich Caesar ausschließlich geheiratet habe, damit Jade mich ernst nahm. Eine entsetzliche Erkenntnis. Ich sage mir, dass das nicht möglich ist. Und befrage meine Freunde. Alle sagen dasselbe: «Du warst wahnsinnig verliebt.»
Ich mag mich nicht dazu entschließen, das zu glauben. Dennoch bestätigen mein Aufzeichnungen diese Berichte, ich habe damals genau das getan, was eine verliebte Frau so tut. Nervös blättere ich in
Weitere Kostenlose Bücher