Der Zauber der Casati
Gesellschaftskolumnen der Zeitungen in aller Welt berichteten von den Großtaten der Marchesa Casati. Ihr Leben war ein Wirbel aus Bestellungen, unglaublichen Roben, riesenhaften Schmuckstücken und Tänzen bis zum Schwindeligwerden. Ihre hohen Absätze klackerten zum Klang der Geigen, und ihr langer, schmaler Körper ernährte sich nur noch von Champagner und Likören. Ihr Mann begleitete sie nie, ihr Liebhaber immer seltener, sie war eine alleinstehende Frau, eine freie Frau. Bei den Festen, die sie selbst gab, waren ihr Einfallsreichtum grenzenlos und ihr Budget unerschöpflich. Einmal organisierte sie einen persischen Ball. Léon Bakst entwarf ihr zu der Gelegenheit eine «indo-persische» Robe wie aus Tausendundeiner Nacht, mit geschlitzten Hosenbeinen und einem Umhang aus Goldlamé und blauem Stoff, vergoldeten Wildlederpantoffeln, Halskette und Armbändern aus Perlen, Perlen auch am Gürtel. Perlenstickereien. Die am Rande perlenbesetzte Mitra verlieh ihr das Gepränge einer orientalischen Päpstin. Ein ziemlich außergewöhnliches Foto zeigt Luisa als Scheherazade mit den Malern Paul-César Helleu und Giovanni Boldini, Helleu als Großtürke verkleidet mit langem weißem Bart, auf dem Kopf einen Turban, gebläht wie eine gigantische Wolke aus Schlagsahne. Kleiner denn je zwischen diesen beiden hochbehuteten Wesen, steht Boldini auf einem Säulenstumpf. Mit schwarzem Anzug und Krawatte wirkt er neben diesen beiden Gestalten äußerst nüchtern. Das Foto hat Mariano Fortuny am Nachmittag vor dem Fest aufgenommen.
An diesem Abend hatte Luisa am Eingang des Palastes zwei nackte Gongschläger postiert, doch der Clou des Spektakels waren die beiden Männer, die hinter ihr standen.
Auch sie waren ganz und gar nackt, und Luisa hatte darauf bestanden, sie mit einer Farbe aus echtem Gold anzumalen. Die Ärmsten reagierten mit einem schrecklichen Juckreiz und wären um ein Haar an einer Vergiftung gestorben, jedenfalls wurde das nach dem Abend kolportiert. Die Casati fachte das Gerücht wieder einmal nur zu bereitwillig an.
U m ihre Berühmtheit zu vervollkommnen, hatte Luisa eine grandiose Idee. Der Grande Ballo Pietro Longhi fand im September 1913 statt. In den Annalen von Venedig stellt er eine Art Apotheose dar. Der Casati gelang es, Bürgermeister und Polizeipräsident dazu zu überreden, dass sie ihr den Markusplatz überließen: Ein Tanzboden von vierzehntausend Quadratmetern. Spezialkräfte der Carabinieri bildeten einen Kordon um die Gäste.
Dem Thema der Maskerade folgend, dem 18. Jahrhundert, empfingen zweihundert schwarze Domestiken in Livreen mit Zierschnüren und gepuderten weißen Perücken die Auserwählten. Im Zentrum des Platzes umgrenzten zwölf weitere, mit Ketten verbundene Diener in purpurroter Seide, blaue Kristallkugeln in der Hand, einen den Ehrengästen vorbehaltenen Bezirk. Überall standen Vasen voller Aromaten und schwängerten die Luft mit ihren schweren Düften. Auf den weiß gedeckten Buffets häuften sich Berge von exotischen Früchten, Granatäpfel drängelten sich und Koloquinten, und alle, Marchesi und Grafen, Botschafter und Tänzerinnen, stopften sich bereits mit Johannisbeeren und Trüffelpastetchen voll. Über ihren Köpfen schwankten silberne Girlanden in der sachten Brise. Die Venezianer vermieteten ihre Balkons an die Schaulustigen, die aus der ganzen Welt gekommen waren, um dem Schauspiel der Krinolinen und der alsbald berauschten Harlekins beizuwohnen. Die Nacht war von Gelächter erfüllt, der Himmel schien maßlos hoch, da erklangen auf einmal Trompeten, und blendendes Licht ließ alle die Köpfe wenden. Auf dem Kanal glitt eine von Hunderten chinesischer Lampions beleuchtete Gondel heran, auf ihr Luisa, ganz in Gold gewandet. Die Marchesa hätte gern die Glocken des Campanile läuten lassen. Jede der fünf erfüllte einen bestimmten Zweck, und die Casati wollte, dass die Malefico , die «Unheilvolle», die sonst Hinrichtungen ankündigte, bei ihrer Ankunft erklänge. Diesmal aber hatte der Polizeipräsident sich nicht breitschlagen lassen. Dessen ungeachtet war der Markusplatz von donnerndem Applaus erfüllt, und die Casati wurde zur Göttin, zur absoluten Königin ihres eigenen Unmaßes und der Dekadenz aller.
L uisa wollte den Köpfen ihren Stempel aufprägen und auch ihrer Zeit. Eine wilde Lust am Repräsentieren ergriff sie. Sie suchte nach neuen Künstlern und gab bei ihnen unsterbliche Werke in Auftrag, die sie selbst durch die Zeiten bewahren und auf ewig
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