Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
dieselben: Ist es legitim, ausschließlich große Romane zu verkaufen? Und wie macht man das? Wer weiß, was literarischer Wert ist? Wer steckt hinter der Buchhandlung? Wer finanziert sie?
Und dann fiel die Debatte in sich zusammen. Eine Nachricht jagte die andere. Die vierzehn Mitglieder der Evaluierungskommission des Internationalen Olympischen Komitees waren in Paris, um an Ort und Stelle die Bewerbung der Stadt um die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2012 zu prüfen – alle Prognosen stimmten darin überein: Paris war von allen Städten, die sich beworben hatten, die geeignetste. Die Staatsverschuldung in Frankreich war inzwischen höher als fünfundsechzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit einem Mal wurden sich die Medien dessen bewusst. Der Preis für ein Barrel Öl war auf siebenundfünfzig Dollar geklettert, das war noch nie vorgekommen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte Russland wegen seiner Verbrechen in Tschetschenien. Mit den Verbrechen des Sudan in Darfur befasste sich der Internationale Strafgerichtshof.
Man hätte glauben können, Der gute Roman habe wie jede andere Kulturinnovation Frankreichs die Fragen à la française , das heißt ein ebenso heftiges wie konventionelles, unpräzises und inkonsequentes Kreuzverhör über sich ergehen lassen müssen, damit aber habe sich die Sache erledigt, und er dürfe nun wieder in Ruhe seine Buchhandelsgeschäfte fortsetzen. Doch am 17. März, einem Donnerstag, erschienen in Le Poing drei Seiten mit dem Titel: »Hehre Literatur und miese Geschäfte« und dem Untertitel: »Unsere Nachforschungen über den Star-Buchhändler vom Odéon«.
Henri Doultremont war es, der den Artikel Francesca noch am selben Morgen zu lesen gab. Sie wollte gerade das Haus verlassen, als ihr ein Cinéor-Chauffeur von seinem Wagen aus zurief: »Post für Sie!« In dem Umschlag fand Francesca die Zeitung und daran festgeheftet Henris Karte, auf der nur stand: S. 52 ff.
»Der Buchhändler mit dem klaren Blick, der subtile Literaturkenner mit den Manieren eines in den Wolken lebenden Pierrot, der, die Hand auf dem Herzen, alle Verdächtigungen, die auf seiner Buchhandlung lasten, weit von sich weist, ist kein Engel.
Ivan Georg weiß wirklich nicht, was dieser herrlichen Buchhandlung vorzuwerfen sein kann, die vor einem halben Jahr unter dem Motto ›Hier werden nur große Romane verkauft‹ eröffnet wurde und zunächst sehr viel Interesse und Sympathie hervorrief, dann jedoch auch einige Fragen aufwarf. Nein, er hat nie ein Geheimnis aus seiner Identität gemacht. Ja, auf der Website der Buchhandlung steht alles über die Regeln, nach denen die Bücher im Sortiment ausgewählt werden. Nein, diese Anforderungen sind nicht elitär, sie sind die Ehre der Buchhandlung – Le Ponte vom 21. Februar. Übrigens hat Monsieur Georg Gewährsleute für seine Moral: Audrey Doudou, was schon etwas zu bedeuten hat, aber auch den Historiker Armand Delvaux, Professor am Collège de France – Le Bigaro vom 21. Februar –, ganz zu schweigen von den Hunderten von Beweihräucherern, anonymen Lesern, aber auch Lehrern, mehr oder weniger bekannten Schriftstellern und Intellektuellen, von denen Der gute Roman in seinem Internetforum unterstützt wird.
Doch diese Unterstützung erschien uns ein bisschen ver schwommen und die Tugend-Beteuerungen ziemlich allgemein. Ivan Georg, der jedem, der ihm zuhören – und ihn filmen – will, von seiner Leidenschaft für die Literatur und seinen uneigennützigen Absichten erzählt, sagt nichts über sich selbst. Kein Wort über den Weg, der ihn an die Spitze eines offensichtlich unrentablen, aber mit beträchtlichen Finanzmitteln ausgestatteten Unternehmens geführt hat, kein Wort über seine Erfahrungen auf dem Buchsektor, kein Wort über seine Vergangenheit. Dieser Bereich, den er im Dunkeln lässt, schien uns genauere Nachforschungen zu verdienen. In dieser Vermutung wurden wir bestätigt.
Dass die Buchhandlung, in der Romane mit einem Gütesiegel versehen werden, von einem Mann geführt wird, der keine oder fast keine Studien durchlaufen hat, ist nicht das Schlimmste. Wir haben ihn oft genug sagen hören, dass nicht er die Bücher auswählt, sondern ein Sachverständigenkomitee, dessen Kompetenz er umso leichter garantieren kann, als er die Namen der Sachverständigen hartnäckig verschweigt.
Nein, dass Monsieur Georg selbst keine Autorität in Sachen Literatur ist, gibt keinen Anlass zur Sorge. Dazu gibt eher das
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