Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
hatte. Wirklich ein unvergessliches Buch, wie Van bestätigte.
Francesca kannte es nicht und fragte, ob man das Buch ins Sortiment aufnehmen solle.
»Ich mag die Bosheit darin nicht«, sagte Van. »Aber das ist eigentlich kein Kriterium. Ich werde es dem Komitee vorlegen. Francesca …«
Er zögerte.
»Es gibt da noch eine Information, die ich Ihnen schulde. Agejews Buch erinnert mich daran. Ich habe Ihnen erzählt, dass ich jahrelang nicht ohne die verschiedensten Drogen auskam. Das ist jetzt vorbei.«
»Was das angeht, habe ich Sie nach nichts gefragt.« Francesca wollte dieses Gespräch abbrechen.
»Das ist mir aufgefallen, und ich weiß es zu schätzen. Aber jetzt bitte ich Sie, mir zuzuhören. Zwei Minuten. Ich habe mich oft gefragt, warum man sich unter Drogen setzt. In meinem Fall war es, glaube ich, Selbstekel, ich wollte mir ausweichen. Immer genug bei mir zu haben, um notfalls die Kurve zu kriegen, war wie eine Versicherung, die es mir ermöglichte, mich jederzeit verlassen zu können, verstehen Sie? Mich einfach stehen zu lassen. Das Gefängnis war ein Zwangsentzug. Es war schrecklich. Ich dachte, ich würde verrückt. Dann fand ich eine Art Gleichgewicht, und nach einigen Wochen stellte ich fest, dass ich mich ertragen konnte. Als ich wieder in Frankreich war, lebte ich weiterhin ohne .«
Francesca sagte nichts, sie sah ihn nur an. Sie konnte einen ansehen … Keiner der Menschen, die sie so angesehen hat, mich eingeschlossen, hat ihre Art vergessen, den Blick ihrer Augen auf einen zu richten, die so leidenschaftlich und traurig waren, so ausdrucksvoll, obwohl fast immer wie verschleiert, so veränderlich, so ganz besonders.
Täuschen Sie sich nicht, ich erwarte nichts von Ihnen. Ich wollte Sie um nichts bitten. Van dachte oft an die seltsame Art, in der sie sich wieder gefangen hatte, nachdem sie ihm etwas gestanden hatte, was ihm doch immerhin als ein starkes Gefühl erschienen war. Und jedes Mal gingen ihm die Verse Laforgues durch den Kopf, die er besonders liebte:
[…] bitten seelenvoll um NICHTS […]
und beschließen die verrücktesten Sätze
mit einem : ›Ach Gott, lassen wir’s?‹
Hätten diejenigen, die Francesca damals im Visier hatten und die immer genauer auf sie zielten, abgedrückt, wenn sie näher an sie herangekommen wären, wenn sie, aus nur einem Meter Entfernung, ihrem Blick begegnet wären?
Der Artikel, der am 20. April in Le Ponte über sie erschien, trug den Titel: »Der wahre literarische Chic«. Als Verfasser firmierten einer der Auslandsjournalisten und die Modespezialistin der Zeitung. »Wir haben die Wahrheit über die Eigentümerin der Buchhandlung Der gute Roman , die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ›Épicéa‹, entdeckt«, begann der Artikel. »Diese Gesellschaft befindet sich im ausschließlichen Eigentum einer reichen Erbin.« Dann folgten mehr oder weniger richtige Informationen über die Familie Aldo-Valbelli, über die Kondottieri, die Renaissance-Bankiers, die Reeder des 17. Jahrhunderts, die Gelehrten des 18. Jahrhunderts, die Industriellen des 19. Jahrhunderts, die Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, über die Aldo-Valbelli, für die es nur das Underground-Theater der Sechzigerjahre in London gab, über den Aldo-Valbelli, den seine Passion für Rennwagen bei einem Sturz von einer Küstenstraße in die Adria das Leben kostete, und natürlich über den 1977 verstorbenen großen Historiker und Antifaschisten.
Dann wurde ein anderer Ton angeschlagen. Das Register gewechselt. Die Zeitung hatte ein Foto aufgetrieben, auf dem Francesca, lachend und einen Champagnerkelch in der Hand, im schulterfreien langen Kleid vor einer nach Italien und der Riviera aussehenden Balustrade stand. Darunter wurde mit weiteren Informationen ein Porträt von ihr gezeichnet, es war voller in Worthülsen, Klischees und Banalitäten gekleideter Unterstellungen. Eine sorglose Jugend, keine Studien, reichlich Verehrer zu ihren Füßen. Kein Beruf – wozu auch? Heirat mit einem reichen französischen Geschäftsmann, der zwar die Cinéor – Fernsehsender, Filmstudios – leite, aber nicht als Mann der Kultur bezeichnet werden könne. Die Dame habe auf dem Verlags- und Buchhandelssektor keinerlei Erfahrung, »aber den Lack des Kultursnobismus, der eher Gadda zitieren lässt als Gavalda, auch wenn man nur Letztere gelesen hat«. Es liege ein völliges Unvermögen vor, anderes als Großes wahrzunehmen, »entweder man hat’s oder man hat’s nicht«, und alles sei stets auf
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