Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
nun versuchten, sich mit Neuausgaben von Titeln zu finanzieren, deren Autorenrechte verfallen waren. Die Verlage beider Arten waren angenehm überrascht, dass Der gute Roman auf seinen Tischen Platz hatte für so vergessene Bücher wie Marc Bernards Pareils à des enfants und Stephen Cranes Im Rettungsboot.
» Anis schien sich in unserer Buchhandlung zu fühlen wie ein Fisch im Wasser«, sagte Francesca. »Sie war heiter und tüchtig.«
Sie zögerte, dann lächelte sie.
»Van wirkte weniger ausgeglichen. Hin und wieder zogen Wolken über seine Stirn. Anis verstand sich wunderbar mit Oscar, und manchmal fragte ich mich, ob Ivan sich nicht angesichts dieser engen Freundschaft ein bisschen ausgeschlossen und an sein Alter erinnert fühlte.«
»Natürlich, das setzte mir zu«, sagte Van einfach. »Aber da war noch etwas anderes. Anis und ich kämpften mit den Anpassungsschwierigkeiten, die jedes Paar, nachdem es sich endlich gefunden hat, aushalten muss. Sie wissen schon: Man fällt sich um den Hals und ist glücklicher, als man je für möglich gehalten hätte. Und dann kommt man wieder zu sich, sieht sich an und fragt: Was machen wir jetzt? Und für Anis gab es da keinen Zweifel, wir würden weiter gar nichts machen.«
Heffner wirkte verblüfft.
»Ich werde es genauer beschreiben«, sagte Ivan.
Für ihn war es selbstverständlich, dass man, wenn man so wunderbar miteinander auskam wie Anis und er in jener Zeit, zusammenzog. Für Anis war es nicht minder klar, dass man dergleichen auf keinen Fall übereilt tun durfte.
»Deine Wohnung ist viel zu klein«, sagte sie. »Meine erst recht. Im Übrigen kann ich es mir ohnehin schwer vorstellen, dass einer von uns zum anderen zieht. Er würde sich nicht zu Hause fühlen, und der andere auch nicht mehr.«
»Dann lass uns etwas Größeres suchen«, schlug Ivan vor.
»Ich kümmere mich drum«, versicherte ihm Anis.
Aber sie fand nichts. Genauer gesagt, sie konnte sich zu nichts entschließen. Sie besichtigte Wohnungen und fand sie schlecht geschnitten, zu dunkel, zu teuer. Abends um zehn Uhr, wenn die Buchhandlung schloss, stand sie strahlend da und wartete auf Ivan. Sie zog ihn mit zu ihm nach Hause. »Abendessen?«, fragte sie. »O nein!« Sie flog die Stufen hinauf, sie wollte alles ausprobieren, alles lernen, ihre Fantasie war unerschöpflich, und bald war Van der Lehrling. Doch sobald er eingeschlafen war, rief sie leise hinter vorgehaltener Hand ein Taxi. »Nein …«, protestierte Van im Halbschlaf und griff im Dunkeln nach ihr, um sie zurückzuhalten – doch sie war schon weg.
Und tags darauf wachte Van allein auf und bereitete sich schweigend auf den Tag vor. Eines Morgens kam ihm ein Gedanke, eher ein düsteres Vorgefühl. Sie bannt die Geister der Vergangenheit mit mir, dachte er, und dann wird sie mich verlassen. Dann ist sie reingewaschen, geheilt und endlich frei.
40
W ir haben da etwas ein bisschen vernachlässigt«, sagte Van, »wir hätten einige der Romane, die in den letzten Monaten erschienen sind, ins Sortiment aufnehmen sollen. Es waren doch bestimmt auch gute darunter.«
»Mindestens vier«, erwiderte Francesca. » Ein Stammbaum von Modiano, Louis Capet, Fortsetzung und Schluss von Benoziglio, Das Geheimnis des Biographen von Antonia Susan Byatt. Auch der Erzählungsband von Éric Holder, Les Sentiers délicats , hat mir sehr gefallen. Übrigens wurden all diese Bücher auch schon bei uns bestellt. Unsere Getreuen haben eine feine Nase, und sie sind eine wertvolle Hilfe.«
Diesen Titeln fügte Ivan noch Ivo Andrić’ neu herausgegebenen Roman Die Brücke über die Drina , Saramagos Der Doppelgänger und François Vallejos Le voyage des grands hommes hinzu. Anis war hingerissen von Marina Zwetajewas Briefen, Im Feuer geschrieben .
»Schon Juli«, sagte Francesca. »Wir müssen wohl die Komiteemitglieder an ihre Pflichten erinnern. Jeder muss uns eine Zusatzliste mit seiner Auswahl aus den Neuerscheinungen dieses Jahres zukommen lassen.«
»Wir hätten sie sogar schon früher darum bitten sollen«, pflichtete Van ihr bei. »Sie haben die erste Liste im Mai abgegeben, also vor mehr als einem Jahr.«
»Lassen wir sie bis August in Ruhe«, dämpfte Francesca seinen Eifer. »In Frankreich geht das Literaturjahr von Sommer zu Sommer. Daran können auch wir uns halten.«
Zwei Wochen nach seinem Besuch teilte Frucht mit, er werde sein Projekt doch nicht weiterverfolgen. Eine Mail, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: Die
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