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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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Ruth Mc Cormac – »Cormac!«, wiederholte Francesca –, sprudelte über vor lauter Interesse am Guten Roman , sprach aber nicht besonders gut Französisch. Für sie bedeutete see mehr oder weniger ein Praktikum, come and see also: Kommen Sie her und verbringen Sie ein oder zwei Monate bei uns.
    Francesca hätte es genauso verstanden. »Selbstverständlich, zuerst ein Praktikum«, sagte sie.
    Ruth hatte um nichts gebeten, doch sie erhielt eine Vergütung, mit der sie in Paris leben konnte, ohne jeden Cent umzudrehen. Sie hatte ihren Laptop schon beim ersten Besuch über der Schulter hängen, und noch am selben Abend mietete sie sich bei einer Wohngemeinschaft in Montreuil ein.
    Sie hatte sehr viel gelesen, sich in beiden Amerikas umgesehen, es mit dem Film versucht und – bescheiden – vom Theater gelebt. Eine Autodidaktin, die sich Zeit ließ, eine Intellektuelle, ohne es zu wissen. Wer sie so in der Buchhandlung beobachtete, musste vermuten, dass sie schon jahrelang als Buchhändlerin gearbeitet hatte. Ihr Französisch war zu ihrem großen Ärger etwas tollpatschig, daher wechselte sie im Gespräch gern ins Englische oder Spanische, und so mancher Kunde, dem das schmeichelte, spann den Gesprächsfaden entsprechend weiter. Jeden Tag fand sie eine Gelegenheit, sich mit Ivan zu unterhalten. Sie hatte keinerlei Erfahrung darin, ein Geschäft zu führen. Learning by doing , tröstete Ivan, der wusste, wovon er sprach. Und sie hatte nicht das mindeste Kapital. Ende August verließ sie Paris und wusste genau, welche beiden Ziele zuerst verfolgt werden mussten: einen finanzstarken Partner finden – wenn möglich Privatperson, wenn möglich männlich und gut aussehend – und einen Verbündeten, der etwas von Buchhaltung verstand.

41
    A ls Ruth Paris verließ, war Francesca schon seit zehn Tagen nicht mehr in der Stadt. Sie war abgereist – sie wolle schlafen, hatte sie gesagt, ohne weitere Gründe oder das Datum der Rückkehr zu nennen.
    Das ist doch alles völlig normal, sagte sich Van immer wieder. Sie war erschöpft, er hatte es ihr nicht sagen wollen, aber sie war sichtlich erholungsbedürftiger gewesen als er. Er hoffte, allerdings ohne allzu große Überzeugung, dass sie ganz einfach in das Haus auf der Insel im Ortasee gefahren war. Die Buchhandlung lief jetzt in einem Rhythmus, der gut zur allgemeinen Pariser August-Erschlaffung passte. Der Verkauf war um die Hälfte zurückgegangen – nur um die Hälfte, sagte Ivan, für August ist das richtig gut. Francesca durfte ruhig ein wenig Ferien machen, soweit dieses Wort für sie eine Bedeutung hatte.
    Eines Morgens jedoch kam ihm der Gedanke, sie werde vielleicht nicht zurückkommen. Er war auf dem Weg zur Buchhandlung und überquerte gerade auf dem Pont Royal die Seine. Es war sieben Uhr morgens, wunderschöner weißer Dunst stieg aus dem Wasser auf und ließ alles, Umrisse, Farben und Geräusche, verschwimmen. Van bekam Angst. Mit einem Mal erschien ihm alles kalt, der Stein, das Wasser, der Himmel. Er sah Francescas Magerkeit vor sich, im Juli war sie noch dünner gewesen, ihr Lächeln, das zu starr war und zu häufig. Es hätte ihr ziemlich ähnlich gesehen, sich so zu empfehlen – ohne jemanden vorzuwarnen und nachdem sie das Überleben der Buchhandlung heimlich bis ins letzte Detail geregelt hätte.
    Überall auf der Welt wetterleuchtete es. Der Iran schien entschlossen, sich mit Atomwaffen zu versorgen, trotz der Drohgebärden der großen Staaten, die längst welche hatten. Jede Woche kenterten Boote voller zwanzigjähriger Afrikaner vor der Insel Lampedusa oder vor der mauretanischen Küste. Nie da gewesene Waldbrände wüteten in Portugal. Allein in der Region um Bombay waren achthundert Menschen durch den Monsunregen umgekommen.
    Eines Tages, gegen Mittag, schleppte sich Brother Brandy in die Buchhandlung, er hielt sich an den Wänden fest, um nicht zu fallen. Das Sprechen fiel ihm so schwer, dass Van ihn sofort am Arm nahm und zum Kassentresen führte. Der bringt seine Liste, dachte Van. Und das war offensichtlich auch der Gedanke, den Brother hatte, denn alles, was er hervorstammelte, während er Ivan tief in die Augen sah, waren Buchtitel: » Terminal cargo .« – » Terminal frigo« , korrigierte Van, »ja, das ist sehr gut.« – » Irgend… Irgendwo von Krisova.« – »Kristof«, sagte Ivan, »Agota Kristof.« – » Europes , Sie wissen schon, Réda, Sie wissen schon.« – »Ja«, sagte Ivan. – »Und … Terminal cargo … «
    Ivan hörte

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