Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Sie in unsere Buchhandlung gekommen sind, und wir hoffen, Sie haben sich bei uns wohlgefühlt.‹«
Dennoch, an Francescas Engagement hatte sich etwas verändert. Ivan nahm es ganz deutlich wahr. Er wäre nicht so weit gegangen, es als Abstandnehmen zu bezeichnen, und das wäre auch falsch gewesen. Sie war immer noch eine leidenschaftliche Verfechterin der guten Sache, wie sie es nannte. Aber sie kam nicht mehr jeden Tag in die Buchhandlung. Sie achtete nicht mehr selbst auf alles. Sie delegierte: Ivan, meinen Sie nicht … Ob Oscar wohl …
Unter uns sprachen wir darüber. »Wir sollten nicht vergessen, was sie gesagt hat: dass sie jetzt vor allem Angst hat«, erinnerte Oscar. »Wenn sie Angst hat, dann, glaube ich, nicht mehr um sich selbst«, meinte Van. »Nein, ich fürchte, sie hat immer noch diese alte Vorstellung, dass Der gute Roman mehr verliert als gewinnt, wenn sie sichtbar wird. Meiner Meinung nach hält sie aus Pflichtgefühl Abstand. Vermutlich glaubt sie, sie brächte Unglück.«
In einem Punkt hatte Carey übrigens unrecht. Der gute Roman war in Paris entstanden, aber er konnte durchaus an anderen Orten noch einmal entstehen. In Berlin nahm das Projekt schon Gestalt an.
Den drei Interessenten, die geschrieben hatten, sie wollten vielleicht auch so eine Buchhandlung eröffnen, hatte Van geantwortet: Darüber können wir uns gern unterhalten. Kommen Sie nach Paris.
Max Frucht verbrachte einen ganzen Tag in der Buchhandlung, wo er jedes Detail beobachtete, und dann einen arbeitsamen Abend mit Francesca und Ivan oben im großen Büro. Er war einunddreißig Jahre alt, ein Broker, der genug hatte von der Finanzwelt, und ansonsten ein großer, rosiger, blonder Junge, der lustlos seinen kostspieligen Anzug trug. In zehn Jahren New York war ihm ein Vermögen zugefallen, das er auf keinen Fall ungenutzt lassen wollte. Er hatte mehrere Kollegen, die, wie er, die Taschen voller Geld hatten und einen Schlussstrich unter das Leben im Nadelstreifenanzug zogen. Die einen investierten ins Humanitäre, die anderen in Kunst. »Aus meiner Sicht«, sagte Frucht – er sprach ein sehr gutes Französisch –, »hat Der gute Roman von beidem etwas, von der Kunst und von der Wohltätigkeit.« Bevor er in der Finanzwelt tätig wurde, hatte er in Berlin zwei Jahre Alte Geschichte studiert.
Trotzdem ging er die Frage vom Geschäftlichen her an. Er ließ sich die Rechnungsbücher vorlegen, zückte seinen Taschenrechner und notierte ein paar Zahlen.
»Im Grunde ist es ziemlich einfach«, sagte er abschließend. » Der gute Roman ist eine Buchhandlung, die läuft. Ansonsten ist sie wie alle anderen Buchhandlungen auch.«
»Sie haben alles verstanden«, sagte Van.
»Das Geheimnis ist die strenge Auswahl der Bücher«, sagte Francesca.
»Und eine wirksame Markteinführung«, sagte Frucht, »eine sehr genaue Positionierung auf dem Markt.«
»Das Heikelste und Langwierigste ist die Zusammenstellung des Komitees«, bemerkte Van.
»Und das Härteste, die Schläge zu ertragen«, ergänzte Francesca.
Van war misstrauisch.
»Ich mag diesen Frucht nicht besonders«, sagte er am Tag darauf.
»Glauben Sie nicht, dass Sie da vielleicht Vorurteile haben?«, fragte Francesca liebevoll. »Und sich vor allem hüten, was einen dunklen Anzug trägt?«
»Möglich. Fakt ist, dass dieser Bursche keinen guten Eindruck auf mich macht.«
»Ich persönlich kann mir gar keine Meinung über ihn bilden. Er ist dermaßen konventionell, dass er im Grunde schon wieder rätselhaft ist.«
»Geschäftlich«, sagte Ivan zu Heffner, »war die Lage nach wie vor gut.«
Die Verkaufszahlen stiegen, und auch die Anzahl der Abonnements nahm zu. Nur die Internetverkäufe blieben auf niedrigem Niveau. Offenbar kamen die Kunden viel lieber ins Geschäft, statt sich ihre Bücher zuschicken zu lassen. Die Internetverkäufe machten etwa sieben Prozent aus. Zwar entsprach diese Zahl immerhin dem Doppelten des Internet-Anteils der Verkäufe sämtlicher französischen Buchhandlungen, aber sie schien sich auf diesem Niveau halten zu wollen. Doch dies war unwichtig. Sie hatten ihre sämtlichen Ziele übertroffen.
Der gute Roman bekam nun auch von manchen Verlagen günstigere Konditionen angeboten – nichts Weltbewegendes, nur etwas größere Gewinnspannen.
Die Angebote kamen von zwei Arten von Verlagen, von alteingesessenen Häusern wie Gallimard, die eine beträchtliche Backlist hatten, und von ganz kleinen Verlagen, die sich oft gerade erst etabliert hatten und
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