Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
ist ein wunderbar geschriebenes Buch. Sagen Sie das Ihrem Boss. Und wunderbar konstruiert, mit Rückblenden und Analysen, die sich über zehn oder fünfzehn Jahre erstrecken.«
Und dann ließ Ivan ihn stehen. Heffner fürchtete schon, er habe ihn verärgert.
Es war kurz vor Ladenschluss. Heffner war erst jetzt gekommen, weil er wusste, dass um diese Zeit nur noch die letzten hartnäckigen Leser da waren, die alles ringsum vergessen hatten.
Doch Ivan kam zurück, er hielt L’Organisation in der Hand.
»Hier«, sagte er. »Dieser Kommissar Marx muss schon jemand Besonderer sein. Erst nimmt er keinen Anstoß daran, dass Sie heimlich auf eigene Faust ermittelt haben, und dann weist er Sie auch noch auf das beste Buch hin, das in Frankreich über die Achtundsechziger und alle Folgekomplikationen erschienen ist.«
50
S ie alle waren in diesem Jahr nicht besonders weihnachtlich gestimmt. Francesca gab es zu: »Ich bin müde. Ich habe wenig Lust, etwas zu organisieren. Ich hätte Angst, damit nur …« – sie zögerte – »einen weiteren Angriff herauszufordern.«
Van gab sich zuversichtlich. »Aber, aber, nicht durchhängen! Es gibt keinen Anlass zur Sorge. Wir sind jetzt stärker als letztes Jahr um diese Zeit, wir sind nicht mehr so naiv und schon ein wenig gewappnet. Aber wenn Sie erschöpft sind, schlafen Sie sich richtig aus. Ich wecke Sie am 1. Januar morgens, dann sind wir im neuen Jahr, und alles wird anders.«
Immerhin kam noch ein Brief, den sie als gutes Vorzeichen nahmen. Ruth würde den Schritt nun wagen. Sie hatte einen Geldgeber gefunden. Nicht den breitschultrigen Mäzen ihrer Träume, sondern einen Trust, wie es ihn in Amerika zu Tausenden gibt, testamentarisch verfügt von einem Ölmagnaten, der wohl bedauerte, immer nur Zahlen gelesen zu haben, und deshalb eine nach ihm benannte Stiftung zur Literaturförderung ins Leben gerufen hatte.
Die Buchhandlung The Good Novel sollte in Houston das Licht der Welt erblicken. Wenn alles gut ging, wollte man in der Stiftung sogar darüber nachdenken, eine weitere in Phoenix und – warum nicht? – im Laufe der Jahre sogar in anderen Städten zu eröffnen, so zum Beispiel an der West- und Ostküste.
Am 1. Januar schneite es. Der Himmel war weiß, das Licht gelb. Ivan rief Francesca an und sagte: »Für morgen wird schönes Wetter vorhergesagt.«
Er hatte Heffner am 31. Dezember in der Buchhandlung gesehen.
»Er kommt immer mal wieder. Er beobachtet die Leute, kauft das eine oder andere Buch. Gestern haben wir über Inoue gesprochen. Manchmal vergesse ich, dass er kein Kunde ist wie alle anderen auch. Am Ende unseres Gesprächs habe ich ihn beiläufig gefragt, ob wir uns zu dritt, Sie, er und ich, treffen könnten, um den aktuellen Stand zu besprechen. Er ermittelt ja schon seit einem Monat.«
»Ist das im Untersuchungsverfahren vorgesehen?«
»Das Untersuchungsverfahren sieht vor, dass er uns so oft wie nötig und an einem Ort seiner Wahl trifft.«
Am nächsten Tag aßen sie zu dritt zu Mittag, in einem der von der Fläche her größten Restaurants von Paris, im großen Foyer des Théâtre du Rond-Point an den Champs-Élysées, wo die Abstände zwischen den Tischen relativ groß sind und das Besteckgeklapper so vieler Menschen für einen soliden Geräuschpegel sorgt.
Heffner und sein Team hatten einiges herausgefunden. Teils klare, teils vage Sachverhalte, zwischen denen nicht unbedingt ein Zusammenhang sichtbar war, die aber trotzdem auf etwas Gemeinsames zuzustreben schienen.
Sie hatten verschiedene Personen identifizieren können. Unter den Tausenden feindseliger Zuschriften, die es von Februar bis Juni 2005 im Forum des Guten Romans gehagelt hatte, hatten sie einige besonders fleißige Absender herausgefunden und sie mithilfe von Fallen, Verstecken und Beschattungen – die im Internet auch nicht unbedingt anders funktionieren als schon immer auf der Straße und schon seit Langem im Telefonnetz – in ihren Verstecken aufspüren und sie sogar mit Namen in Verbindung bringen können. Namen von Unternehmen und Personen.
Dank seinen Verbindungen mit der Presse- und Verlagswelt – Menschen, die ihm aus irgendwelchen Gründen verpflichtet oder ein bisschen redselig oder ungeschickt waren – hatte Heffner herausgefunden, wer den mit Abéha gezeichneten Artikel, die erste Anklageschrift, bei Le Ponte untergebracht hatte. Es war keiner der beiden Sorbonne-Dozenten mit den Initialen A.B.A. – die Zeitung war einem Schwindel aufgesessen, einer der
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