Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Romane von ihr gelesen und war von ihrer Intelligenz fasziniert. Eher zufällig war er in diesem Monat auf ihr O Mosteiro gestoßen. Treffsicherheit, Hellsicht, Aktualität und Humor – er verkaufte viele Exemplare, an Frauen wie an Männer.
Inzwischen, genau an dem Tag, an dem Ivan das Kommuniqué an die Französische Presseagentur geschickt und ins Internet gestellt hatte, hatte Francesca Anzeige erstattet und Heffner seine Vorgesetzten informiert.
Es gibt mehrere Arten der Klageerhebung, je nachdem, ob man eine natürliche Person ist oder ein Unternehmen, ob man in Lebensgefahr schwebt oder nicht – und Francesca fühlte sich jeder Kategorie ein wenig zugehörig. Sie hatte Heffner um Rat gefragt. Seinem Rat folgend hatte sie sich, um Zeit zu sparen, nicht an den Leitenden Staatsanwalt der Republik gewandt, sondern an dessen für Straftaten zuständigen Stellvertreter. Noch am selben Nachmittag um drei Uhr wurde sie am Quai des Orfèvres von einer rundlichen, gelassenen Dame empfangen, die die Sache offenbar ernst nahm, denn um Viertel nach fünf hatte sie bereits einen Untersuchungsrichter benannt. Das heißt, die Frau Staatsanwältin hatte in Francescas Anwesenheit den dienstältesten Untersuchungsrichter angerufen, und der hatte zehn Minuten später zurückgerufen: Er habe den Richter Albéric Blin benannt.
Schon am nächsten Tag bestellte Richter Blin nacheinander Francesca, Van, Oscar, Anis, Yassin, die acht Ehemaligen des Komitees, sprich alle Hauptakteure des Guten Romans in sein Büro im Justizpalast ein. Er war ein blonder junger Mann, der das Verfahren ordnungsgemäß durchführte und stets einen autoritär-gewichtigen Ton anschlug.
Francesca wollte keinen Anwalt.
»Das ist Ihr gutes Recht«, sagte Blin.
»Und es ändert nichts an den Ermittlungen?«
»Nein, es ändert nichts an der gerichtlichen Untersuchung.«
Am selben Nachmittag, an dem Francesca einen Termin beim Stellvertretenden Staatsanwalt hatte und zum zweiten Mal im selben Monat die gesamte Geschichte des Guten Romans , dieses Mal allerdings allein und etwas gestrafft, erzählen musste, unterrichtete Heffner seine Vorgesetzten. Dieser Vorgang vollzog sich weit lockerer, als die administrative Strenge dieses Ausdrucks vermuten lässt.
Gonzague Heffner griff zum Telefon und rief seinen direkten Vorgesetzten André Marx an, seinen Brigadenchef bei der Kriminalpolizei, und eine Viertelstunde später saßen sich die beiden an einem Tischchen des Marguerite gegenüber, einem Café am Quai de Gesvres, das den Vorzug hatte, nicht in unmittelbarer Nähe des Quai des Orfèvres zu liegen. Und jetzt war es an Heffner, die Geschichte des Guten Romans zu erzählen, vom strahlenden Anfang bis zum versuchten Anschlag auf Scaf.
Allerdings ließ er einige Teile der Geschichte aus und behielt auch einiges über die ersten Ermittlungen für sich, die er seit achtzehn Tagen auf eigene Faust betrieb. Er sagte gerade genug, um Marx davon zu überzeugen, dass es sich um ein Verbrechen handelte, das ganz klar in seinen Zuständigkeitsbereich fiel.
Marx war skeptisch, aber das war er immer. Und er mochte Heffner. Als dieser seinen Bericht beendet hatte, legte er ihm die Hand auf den Arm.
»Ich glaube, ich habe verstanden. Heute Nachmittag oder morgen ruft mich ein Untersuchungsrichter an. Er teilt mir seine Vernehmungsergebnisse mit und bittet ein wenig aufgeregt um Rechtshilfe: Eine außergewöhnliche Sache, stellen Sie sich vor, Opfer ist die Literatur. Ich äußere mich erstaunt. Ich höre ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen, und lege wieder auf. Und der erste Ermittler, der mir dann einfällt, ist natürlich Heffner. Der ist ganz klar der richtige Mann, denn er hat immer ein Buch in der Tasche. Es ist ein wenig an der Grenze: Nur einer der Mordversuche hat in Paris stattgefunden. Du wirst mit den örtlichen Polizeistellen zusammenarbeiten müssen.«
Dann schlug er einen anderen Ton an.
»Apropos Literatur. Sag mal: Ich hab meinem Sohn ein Buch geklaut, das mir sehr gefallen hat, L’Organisation von Jean Rolin. Kennst du das? Es sind die Erinnerungen eines ehemaligen Mitglieds einer maoistischen Organisation, ein bisschen schräg erzählt. Ich wüsste gern, was du davon hältst, du hast doch alles gelesen. Ich hab das Gefühl, es ist sehr gut geschrieben.«
Heffner hatte L’Organisation nicht gelesen. Aber als er Van darauf ansprach – er hatte ihm gerade von seinem Gespräch mit Marx berichtet –, wurde er streng belehrt: »Sehr gut geschrieben? Es
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