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Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman

Titel: Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Cossé
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schief.
    »Ich dachte, Sie wüssten nichts von uns. Kennen Sie uns?«
    »Nein, daran würde ich mich erinnern«, erwiderte Heffner mit etwas mechanischer Galanterie.
    »Warum haben Sie vom guten Roman gesprochen?«
    »Sie fragen mich, ob ich diese Gattung mag. Ich antworte: Es hängt davon ab. Zufällig habe ich, bevor ich in den Polizeidienst eintrat, zwei Vorbereitungsklassen lang und dann noch ein paar Jahre an der Sorbonne Literaturwissenschaften studiert. Dann habe ich mich doch für die Aktion entschieden, und zwar einem moralischen Gebot folgend, das in meinen Augen schon bald seine Berechtigung verlor, einem mir von mir selbst auferlegten Gebot, um das klarzustellen. Ich hege eine Leidenschaft für die Literatur, und ich leide, wie es ja zur Leidenschaft gehört. Ich erwarte ungeheuer viel von einem Roman. Ich bin schon so oft enttäuscht worden, dass ich seit etwa zehn Jahren keine Neuerscheinung mehr aufzuschlagen wage. Ich warte, bis die Zeit eine Auswahl getroffen hat. Ich lese nur noch Klassiker. Die letzten anderthalb Jahre habe ich mit Balzac verbracht, den ich unterschätzt hatte und zu dem mich Proust wieder hinführte. Aber genug von mir. Warum fragen Sie mich nach dem Roman?«
    Francesca schaute auf ihre Armbanduhr und fragte: »Haben Sie ein oder zwei Stunden Zeit für uns? So lange brauchen wir.«
    Da Heffner die Lider senkte, was sie als Zustimmung auslegte, begann sie mit einer Vorbemerkung zur Methode.
    »Es ist am einfachsten, wenn wir Ihnen die Fakten in chronologischer Reihenfolge schildern. Zu Beginn wird es Ihnen wie die eher friedliche Geschichte der Gründung einer Buchhandlung vorkommen. Aber Sie werden sehen, der Ton wird sich bald ändern. Es wird um Aggressivität gehen, dann um Aggressionen, immer brutalere Angriffe, bis zu den Ereignissen, die uns bewogen haben, die Polizei einzuschalten: drei Verbrechen innerhalb eines Monats.«
    Heffner hatte bei dem Wort »Verbrechen« nicht mit der Wimper gezuckt. Francesca warf Van einen Blick zu, als wolle sie sich seiner Unterstützung sicher sein.
    »Wundern Sie sich nicht, wenn wir beide abwechselnd erzählen«, fuhr sie fort. »Wir verstehen uns gut. Uns kommt so oft im selben Moment die gleiche Idee, dass man nicht vom Ins-Wort-Fallen reden kann, wenn einer von uns den vom anderen begonnenen Satz zu Ende spricht.«
    »Also los!« Heffners Stimme klang fest.
    »Ich habe Ivan Georg in Méribel kennengelernt«, sagte Francesca.
    Sie hatte einen erzählerischen Ton angeschlagen.
    Van habe seine Zeit in diesem berühmten Wintersportort in einem winzigen Untergeschoss verbracht. Dabei habe er zu den Persönlichkeiten von Méribel gehört.
    »Nein, keine Sorge, nicht zu den Schönen und den Reichen«, stellte sie klar. »Ivan zog keine Show ab. Zum Skifahren hatte er keine Zeit. Vom 15. Dezember bis zum 15. April und in den Monaten Juli und August arbeitete er sieben Tage die Woche in der winzigsten Buch- und Schreibwarenhandlung des Orts.«
    »Ein Geschäft, wie es sie zu Tausenden gibt«, fuhr Ivan fort, »und viel mehr Schreibwaren- als Buchhandlung, aber mit einer außerordentlich klaren Arbeitsteilung. Ich kümmerte mich um die Bücher, und Monsieur Bono, der Chef, um alles andere. In mancher Hinsicht war es ein Traum. Ich musste mich weder um die Buchhaltung noch um den Papierkram kümmern, außer um die Lagerbestellungen und die Neubestellungen. Monsieur Bono übernahm die gesamte Geschäftsführung des Ladens, zusätzlich zum Schreibwaren- und Zeitungshandel, und kümmerte sich auch um die Sonnencremes, die Schlüsselanhänger aus Seehundfell und die Entwicklung von Filmen – das war im Jahr 2003, kurz vor dem Siegeszug der Digitalkamera.«
    Ivan war Angestellter und erhielt den staatlichen Mindestlohn, aber er war begeistert von seinem Vertrag: Er nahm Monsieur Bono alles ab, was mit Büchern zu tun hatte, und dafür erhielt er die unbeschränkte Herrschaft über den kleinen Keller, der den Büchern vorbehalten war.
    »Und die Kunden, die an den Zeitungsstapeln und Postkartenständern vorbei den Weg nach hinten zur Treppe in den Keller fanden, kamen immer wieder«, sagte Van.
    »Man muss aber auch sagen, dass Van Georg kein ganz gewöhnlicher Buchhändler war«, warf Francesca ein.
    Obwohl sie schon in früher Kindheit, in der sie aufs Beste beraten worden sei, zu lesen begonnen habe und sehr bald unersättlich geworden sei, habe sie gleich beim ersten Einkauf die Einzigartigkeit dieses Büchernarren in seiner Höhle

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