Der Zauber der ersten Seite - Cossé, L: Zauber der ersten Seite - Au bon roman
Auflagen seiner Bücher und die damit verbundenen noch geringeren Verkaufserwartungen seines Verlegers.
»Das ist uns doch wohl schnurz!«, erklärte Francesca feurig.
Auf de Winters Gesicht trat ein sehr schönes Lächeln.
»Von Erfolg und Geld habe ich noch nie geträumt. Daran denke ich nicht. Ich strebe nach Eleganz. Bitte verstehen Sie den Begriff im weitesten Sinne, intellektuelle, moralische, körperliche Eleganz, Eleganz im Umgang mit dem anderen … Ich war sechzehn, als ich im Radio ein Zitat des Malers Martini hörte, das mich fürs Leben zeichnete. Simone Martini sagte, sein Ziel sei die ›vollkommene Eleganz‹ – oder sagte der Kommentator über Martini, dieser strebe nach ›vollkommener Eleganz‹? Jedenfalls haben mich diese beiden Wörter ins Herz getroffen. Sie drückten genau das aus, wonach ich strebte, ohne es benennen zu können. Auch ich zielte auf vollkommene Eleganz ab, im Leben und natürlich auch, nach Möglichkeit, in einem Werk. Bei einem solchen Plan jedoch werden Geld und Erfolg als Ziele, milde gesagt, relativiert: Sie fallen unter das nach Möglichkeit zu Vermeidende.«
Er schenkte sich noch einen golden schimmernden Whisky ein.
»Und was das Kapitel Gier angeht«, fuhr er fort, »so findet eine Art Verfall der literarischen Sitten statt. Möglicherweise wird Ihr Vorhaben schon an sich, durch das Licht, das es auf dieses Theater wirft, zeigen, wie lächerlich diese Verirrungen sind. Ich meine zum Beispiel diese Art der heutigen Autoren, sich als Rivalen zu betrachten, so sehr, dass sie, wie man mir sagte, schreiben, um die Konkurrenten zu vernichten. Die Literaturpreise sind daran nicht ganz unschuldig. Schreiben, um den Sieg über die anderen davonzutragen, welch erbärmlicher Ehrgeiz. Die Gemeinschaft der Kreativen hat diese schöne und einzig artige Eigenschaft, dass sie für jeden Platz hat. Und nun will man ihn beschränken! Man macht daraus eine Markthalle, in der einige wenige Bestseller allen Raum einnehmen. Man: die Verlags-Industriellen, die blökende Herde der Journalisten, die Kultur-Grossisten. Ach, mir ist die Welt der Amateure lieber – und ich spreche nicht von der guten alten Zeit oder von der Provinz.«
Er hatte seine Liste in einer kleinen, kartonierten und mit einem Bändchen verschlossenen Aktenmappe verwahrt.
»Einen Decknamen?« Er zog eine Augenbraue hoch. »Ach, das hatte ich ganz vergessen. Suchen Sie mir einen aus, was immer Sie wollen, nur nicht Summer, der hat mir meine Schulzeit vergällt.«
»Balanchine?«, schlug Ivan vor.
»Das Gegenteil wäre mir lieber, ein Name, der an Breschnew erinnert oder besser noch an den Humoristen Francis Blanche. Ja, ein Affe, ein Berberaffe: Le Magot. Nennen Sie mich Le Magot. Das klingt ein bisschen nach Intelligence Service, das erinnert mich an meine Jahre im Außenministerium.«
Gilles Évohé fuhr mit dem Rad. »Bei jedem Wetter, ich habe ja meinen Taucheranzug«, sagte er, nachdem er vom Rad abgestiegen war, zu Francesca; sie saß auf einer Bank am Ufer des Kanals Saint-Martin, den er als Treffpunkt vorgeschlagen hatte. Während er mit ihr sprach, schälte er sich aus seinem bronzegrünen Überzug.
»Ah«, sagte er und stockte in seinen Bewegungen. »Mir fiel doch partout kein Deckname ein, aber nun habe ich einen: Scaphandrier, Taucher.«
»Sehr gut«, sagten Ivan und Francesca wie aus einem Mund.
»Nein, Scaph«, verbesserte sich Évohé. »Das genügt, das klingt besser.«
»Mit ph oder f?«, fragte Francesca.
»Gute Idee, f. Also: Scaf.«
Klein, dunkel, nervös: Sein Äußeres ließ an den Politiker Michel Rocard denken. Seine Novellen und Romane hinge gen erinnerten an Alexandre Vialatte. Sein wirklicher Name war Évohé. Er hatte vierzig Jahre als Mathematiker am staatlichen Zentrum für Wissenschaftliche Forschung gearbeitet. Schwerpunkt: nicht glatte Varietäten. »Ist ganz witzig, aber viel hab ich nicht herausgefunden«, fügte er mit etwas gezwungener Heiterkeit hinzu.
Die Idee der Buchhandlung begeisterte ihn. Ein Handy? Ja, habe er. Warum? Wirklich? Wenn er etwas zu sagen habe, würde er eher in der Buchhandlung vorbeischauen. Mit dem Rad sei ihm kein Weg zu weit. Nein? Keine gute Idee?
Van und Francesca liefen mehr als eine Stunde lang neben ihm am Kanal Saint-Martin entlang, von der Place de la République bis zum Square Stalingrad und zurück. Als sie sich von ihm verabschiedeten, waren sie wie angesteckt von seiner Vitalität und voller Hoffnung. Doch zu Francescas Verblüffung
Weitere Kostenlose Bücher