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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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längst.
    Russell nickte, riss den Blick von Marie und zwinkerte heftig, als sei er gerade aus einem Zauber erwacht. »Meine Frau.« Er sah sich hektisch um. »Hier ist ein weiteres Bild, das Sie interessieren wird«, sagte er und zog sie unsanft in den angrenzenden Raum.
    »Bitte nicht.« Sie kam sich vor wie ein an der Leine geführter Welpe.
    Alles war zerstört. Ich will weg, ich will weg, hämmerte es in ihrem Kopf, während sie an gemalten Gesichtern und Landschaften vorbeistolperte und weder Künstler noch Thema richtig wahrnahm. Sie dachte daran, wie Marie sie gemustert hatte, wie einen lästigen, tristen braunen Vogel, der gegen ihr eigenes exotisches Federkleid verblasste. Als Philip schließlich vorschlug zu gehen, nickte sie stumm.
    Sie liefen durch den Green Park. Feuchter Nebel stieg aus dem Gras. Russell war so tief in Gedanken versunken, dass er auf Lauras halbherzige Versuche, eine Unterhaltung zu beginnen, nur einsilbig reagierte.
    Als sie die Victoria Street erreichten, schien er allmählich aus seiner Melancholie zu erwachen. »Sie haben mein Atelier noch gar nicht gesehen, oder?«, fragte er. »Manche Künstler öffnen es fürs Publikum, und ich frage mich, ob ich das auch tun sollte. Ich wüsste gern, was Sie davon halten.«
    »Aber ich muss nach Hause. Mein Vater …«
    »Bitte, kommen Sie noch mit. Ich möchte jetzt nicht allein sein.« Er klopfte ihr in ungeschickter Zuneigung auf den Arm. Schmerzhafte Erinnerungen an ihren Bruder Tom wurden dabei in ihr wach, und sie gab nach.
    »Aber nur ganz kurz.«
    »Es ist nicht weit. Die Wilton Street hinab, dann ein Stück in Richtung Fluss.«
    Er führte sie am Bahnhof vorbei und an weiß getünchten Reihenhäusern, die in der Spätnachmittagssonne lagen. Aus geöffneten Fenstern hörte man den Gesang von Vögeln in ihren Käfigen. Ein kleines Mädchen lehnte auf einer Fensterbank und winkte ihnen zu. Laura winkte zurück. Weiter entfernt hörte man aus einem Wohnzimmer die Eröffnungstakte eines Bach-Prélude, die wieder und wieder gespielt wurden. Der unsichtbare Pianist stolperte jedes Mal an derselben Stelle.
    In der Lupus Street standen Blumenkästen vor den Häusern. Philip führte sie zu Nummer 13, dann eine Treppe hinauf ins oberste Stockwerk, wo ihm ein riesiges Dachzimmer mit einem nach Norden gehenden Fenster als Atelier diente.
    Leinwände in allen möglichen Formen und Größen standen an der Wand aufgereiht. Auf einem Tisch lag achtlos ein aufgeschlagenes Skizzenbuch. Laura warf einen Blick darauf und betrachtete dann die kleine Leinwand auf einer Staffelei direkt unter dem Dachfenster. Ihr Entsetzen wuchs. Wohin auch immer sie schaute, überall begegnete ihr Maries Gesicht. Da er seine Frau nicht als Person besitzen konnte, versuchte er offenbar, ihr Bild festzuhalten.
    Sie wich zurück zur Tür, tastete nach der Klinke. »Ich hätte nicht mitkommen dürfen.« Ihre Stimme klang unnatürlich laut.
    »Warum nicht?« Er sah sie erstaunt an. »Was ist los?«
    »Ich kann Ihnen keinen Rat geben, was die Öffnung des Ateliers betrifft. Und nicht mit … Ihrer Frau konkurrieren.«
    »Mit meiner Frau? Was hat Marie mit Ihnen zu tun?«
    »Philip, sie ist überall. Schauen Sie doch nur!«
    Er sah sich im Raum um, dann trat er auf die Staffelei zu und berührte sanft Maries gemalte Wange. Er hat einen wilden Geist aus ihr gemacht, dachte Laura – eine Wassernymphe vielleicht. Seine Hand sank herab.
    »Das alles …«, sie zeigte auf die Porträts, »… macht unsere Freundschaft sehr schmerzhaft für mich. Es gibt in Ihrem Leben keinen Platz für einen anderen Menschen.«
    »Aber ich brauche Sie.« Seine Stimme war plötzlich ganz heiser vor Gefühlen. »Selbst meine alten Freunde vernachlässigen mich inzwischen. Bitte nicht auch noch Sie.«
    »Aber Sie müssen das verstehen. Ich bedeute Ihnen nichts. Nur sie ist Ihnen wichtig. Ich bin nur eine, der Sie von Marie erzählen können.«
    »Wir sprechen doch über alle möglichen Dinge, Laura. Es tut mir leid, wenn Ihnen unsere Freundschaft so schmerzhaft erscheint.« Er sah sie an, nahm ihre Hand. »Wie kalt Sie sich anfühlen«, sagte er und wärmte ihre Hand in seiner. »Ich habe das Gefühl, offen und ehrlich mit Ihnen reden zu können.«
    Sie machte ein Geräusch, das ebenso gut ein Lachen wie ein Schluchzer gewesen sein könnte. »Das schmeichelt mir nicht, Philip.« Sie zog ihre Hand fort.
    »Oh, ich wollte damit nicht sagen … Ich wollte nur andeuten, dass ich mich in Ihrer Nähe überaus

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