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Der Zauber des Engels

Der Zauber des Engels

Titel: Der Zauber des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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Dachzimmers noch Hunderte weitere befanden, dazu jede Menge große Musterbücher. Die sprichwörtliche Rede von der Suche nach der Nadel im Heuhaufen traf hier wirklich zu.
    Welche Informationen hatten wir bisher? Der Eintrag im Auftragsbuch ließ darauf schließen, dass die Fenster der Marienkapelle von St. Martin’s um 1880 entstanden waren und dass es sich insgesamt um zwei handelte; weitere Einzelheiten waren nicht genannt worden. Daher nahm ich mir mehrere Ordner, die auf 1880 datiert waren, und blätterte sie systematisch durch.
    Wie ich befürchtet hatte, war es keine leichte Arbeit. Minster Glass schien jeden Fetzen Papier über seine Aufträge aufbewahrt zu haben – Rechnungen der Lieferanten, Angebote –, und ich musste nur einen kurzen Blick auf das Material werfen, um festzustellen, dass es wertlos war. Aber dann fand ich plötzlich etwas, das interessant war: einen Brief von Reverend Brownlow, dem Pfarrer von St. Martin’s, auf den ich schon einmal gestoßen war. Er stammte vom April 1880.
    Sehr geehrte Damen und Herren,
    Bezug nehmend auf unser Gespräch kürzlich sehe ich mich nun endlich in der Lage, Sie zu bitten, Mr. Philip Russell mit Zeichnungen für zwei Fenster in der Marienkapelle von St. Martin’s zu beauftragen. Auf dem einen soll eine Jungfrau mit Kind dargestellt sein, auf dem anderen ein Engel, für das südlich einfallende Licht gedacht.
    Ich würde mich freuen, in dieser Angelegenheit baldmöglichst von Ihnen zu hören.
Mit ergebenen Grüßen
JAMES BROWNLOW (Reverend)
    Ein Engel! Auf dem zerstörten Fenster war tatsächlich ein Engel abgebildet gewesen. Endlich hatte ich eine brauchbare Spur in die Vergangenheit gefunden; eine Spur, die mir, wenn ich ihr folgte, möglicherweise die ganze Geschichte entwirren würde.
    Als ich den Brief vorsichtig in den Ordner zurücksteckte, rutschte mir das sperrige Ding plötzlich aus der Hand. Ich fing es auf und schob den Inhalt zurück, aber ein Stück Zeichenpapier hatte sich gelöst und segelte langsam in Richtung Holzfußboden.
    Vorsichtig hob ich es auf. Als ich es umdrehte, sah ich sofort, dass es offenbar aus einem kleinen Skizzenbuch geschnitten worden war. Es handelte sich um die grobe Bleistiftskizze eines Bogenfensters. Nur ein Vorentwurf, dachte ich, denn er war über und über mit Notizen und Zahlen beschrieben, die vermutlich nur dem Künstler etwas sagten.
    Auf der Seite befanden sich weitere Zeichnungen. In einer Ecke das Gesicht einer jungen Frau, in der anderen eine Art Muster. Das Muster erinnerte mich an etwas … an Dads keltischen Knoten; dann wurde mir auf einmal bewusst, dass es sich tatsächlich um nichts anderes handelte als um Dads keltischen Knoten. Die Signatur von Minster Glass . Während ich mich über die Entdeckung freute, fiel mein Blick auf die kleine Skizze einer jungen Frau. Sie war gekonnt gezeichnet: In der Art, wie sie ihr entschlossenes, beinahe quadratisch anmutendes Gesicht zur Seite neigte, lag eine ungeheure Lebhaftigkeit; Klugheit und Witz in dem offenen Blick, den sie direkt auf den Betrachter richtete. Das dichte Haar war streng zurückgekämmt. Sie war nicht im klassischen Sinne schön, stand aber in der Blüte der Jugend, und ihre Ausstrahlung war irgendwie fesselnd. Der Künstler hatte mit krakeliger Schrift etwas daruntergeschrieben. Lana konnte das heißen oder Laura . Danach kam noch ein zweites Wort, das mit einem B begann. Auf einmal tauchte in meiner Erinnerung eine Anmerkung in Dads handschriftlichen Notizen auf. Was war es noch, was er an den Rand seines Hefts geschrieben hatte? »Wer war Laura sowieso?« Natürlich, der Name in dem Brief, den ich gerade gelesen hatte. Brownlow, ja, das war’s. »Wer war Laura Brownlow?«, hatte Dad geschrieben. Er musste diese Zeichnung ebenfalls gesehen und sich die Frage gestellt haben. Wer also war sie? James Brownlows Frau? Oder seine Tochter? Und wieso hatte dieser Minster-Glass -Künstler sie gezeichnet?
    Noch einmal studierte ich ihr Porträt. Ihre Augen schienen mich förmlich anzustarren. Als wollte sie mir ihre Geschichte erzählen.
    Ich legte das Papier wieder in den Ordner und den Ordner zurück auf den Stapel. Ich hatte keine Ahnung, wo ich als Nächstes suchen sollte. Aber ich war ohnehin müde. Vielleicht half es, einige der Ordner in die Schublade zurückzuräumen.
    Ich streckte mich, weil ich vom vielen Sitzen ganz steif war, dann ging ich zu den großen metallenen Aktenschränken hinüber. Die Schublade mit der Aufschrift

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