Der Zauber eines fruehen Morgens
gesprochen, nur gelegentlich durchs Schaufenster einen flüchtigen Blick auf sie erhascht. Manchmal bediente sie gerade eine Kundin, manchmal saß sie auf einem Stuhl und arbeitete oder schrieb etwas. Doch die Wirkung ihrer dunklen, glänzenden Locken, der samtigen Haut und der schlanken, aber sehr weiblichen Figur versetzte ihm immer einen leisen Stich.
Am Tag ihrer Hochzeit war er gerade in dem Moment an der Kirche vorbeigegangen, als sie an Jimmys Arm herausgekommen war, und bei ihrem Anblick hatte es ihm den Atem verschlagen.»Hinreißend« war das einzige Wort, mit dem sich beschreiben ließ, wie sie in dem Kleid aus cremefarbener Seide und dem duftigen Schleier, der ihr bezauberndes Gesicht umrahmte, aussah. Sie blickte zu Jimmy auf und lachte über etwas, und in James regte sich blanker Neid. Noch nie hatte eine Frau ihn so angesehen.
Es war reiner Zufall gewesen, dass er am Tag des Überfalls als Erster am Tatort eingetroffen war. Seine tägliche Runde war erst einen Tag zuvor geändert worden, und wenn er den alten Weg genommen hätte, wäre er zu diesem Zeitpunkt in Richtung Lee Green statt Tranquil Vale unterwegs gewesen. Und Stokes, der Schuster, der aus dem Laden gerannt gekommen war und um Hilfe gerufen hatte, wäre auf einen anderen Polizisten gestoßen.
Belle lag zusammengekrümmt auf dem Fußboden, die Wand hinter ihr mit Blut bespritzt. Bis zu diesem Moment hatte er nicht gewusst, dass sie ein Kind erwartete, doch durch die Lage ihres Körpers zeigte sich die Wölbung ihres Bauchs, und ihre eine Hand war immer noch schützend darübergelegt, was James zutiefst berührte.
Sowie der Arzt da war, rannte James in Richtung Heide, um nach dem Täter Ausschau zu halten. Wenn er ihn erwischt hätte, hätte er dem Kerl wahrscheinlich den Hals umgedreht.
Seit jenem Abend hatte er Belle bei drei weiteren Gelegenheiten aufgesucht. Zum ersten Mal am Tag nach dem Überfall, als er zu ihr gekommen war, um ihre Aussage aufzunehmen. Sie hatte immer noch sehr blass, mitgenommen und erschöpft ausgesehen, sich aber trotzdem bemüht, ihm so viele Informationen wie möglich zu geben.
Dann hörte er, dass sie ihr Baby verloren hatte und es für eine Weile auf Messers Schneide stand, ob sie überleben würde. Zum Glück schaffte sie es, und bei jedem weiteren Vorwand, den er fand, um mit ihr zu sprechen, sah sie ein bisschen besser aus. Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, war sie nicht wehleidig; sie schien eher ungeduldig zu sein, die ewige Fragerei endlich hinter sich zu bringen, damit sie James ihrerseits ein paar Fragen zu seiner Person stellen konnte.
Andere Leute, denen seine fehlenden Finger auffielen, wandten immer hastig den Blick ab, als wäre ihnen der Anblick peinlich. Belle hingegen wollte von ihm wissen, wie es dazu gekommen war und wie lange es gedauert hatte, bis er seine Hand wieder hatte gebrauchen können. Sie fragte nach den Verletzungen des kleinen Jungen, den er gerettet hatte, und fand, dass die Mutter des Kindes ihm unendlich dankbar sein müsse. An jenem Tag hatte James die Bahnhofswirtschaft mit dem Gefühl verlassen, dass seine fehlenden Finger eher eine Art Ehrenzeichen waren als ein Makel, den er verbergen müsste.
Heute hätte er Belle gern gesagt, wie sehr er sich freute, dass sie jetzt schon viel wohler aussah, doch das tiefe Blau ihrer Augen, ihre langen, dunklen Wimpern und ihre vollen Lippen hatten ihn zu sehr aus der Fassung gebracht. Wenn ich nur ein wenig redegewandter wäre!, dachte er bei sich, hätte sie sich vielleicht ein bisschen länger mit mir unterhalten. Er hätte liebend gern jeden einzelnen Hut im Laden begutachtet, den Boden gefegt und die Fenster geputzt, einfach nur, um bei ihr sein zu dürfen. Aber ihre Freundin war auch dort gewesen, und ihm war nichts mehr eingefallen, was er hätte sagen können.
Er war in Hochstimmung, weil man den Täter gefasst hatte, und das Lob seiner Vorgesetzten für all die Laufereien, die er in diesem Fall auf sich genommen hatte, erfüllte ihn mit Stolz. Vielleicht wurde er sogar befördert, was die Sache schön abrunden würde. Doch er wusste, dass er versuchen musste, sich jeden Gedanken an Belle aus dem Kopf zu schlagen. Schließlich war sie eine verheiratete Frau.
James Broadhead war nicht der Einzige, der an Belle dachte. Auch Jimmy war in Gedanken bei seiner Frau – eine unfehlbare Methode, damit ihm innerlich warm wurde.
Der Marsch vom Ausbildungslager in Etaples durch Frankreich war eine einzige Tortur. Die
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