Der Zauber eines fruehen Morgens
französischen Straßen waren gepflastert und beschwerlich zum Gehen, zumal in den schweren Armeestiefeln, die noch nicht eingelaufen waren. Jimmy hatte etliche Blasen – die auf seiner Ferse war mittlerweile so groß wie eine halbe Krone. Aber anderen ging es noch schlechter als ihm; ihre Füße bluteten, und sie schleppten sich wie Greise dahin.
Antwerpen war gefallen, und auf den Straßen wimmelte es von Menschen, die vor den Deutschen flüchteten. Einige von ihnen schoben Handkarren oder Kinderwagen, die mit ihrer Habe beladen waren, andere krümmten sich unter der Last der Habseligkeiten, die sie auf dem Buckel trugen. Frauen mit verängstigten Augen und Babys in den Armen baten um Milch und Brot, und man sah viele Kinder und alte Menschen, die bemitleidenswert verloren wirkten. Keiner von ihnen schien zu wissen, wo er hinwollte oder wie er überleben sollte. Jimmy dachte bei sich, dass sie an Schafe erinnerten, die blindlings dem Leittier folgten.
Seit Anfang November hatte es ständig geregnet, und jetzt mussten sie es mit Schneefall aufnehmen. Es wäre nicht so schlimm gewesen, wenn sie jeden Abend einen trockenen Unterschlupf und etwas Warmes zu essen gehabt hätten, wenn sie ihre Sachen richtig trocknen und den nächsten Tag halbwegs erholt hätten beginnen können. Aber stattdessen war das Beste, was sie erhoffen konnten, eine Nacht in einer Scheune – im Gegensatz zu einigen anderen Regimentern verfügten sie nicht einmal über Zelte. Viele Nächte verbrachten sie, vor Kälte zitternd, im Freien, mit einem wasserdichten Cape als einzigem Schutz und kalter Rinderpastete zum Essen.
Als er an diesem Abend an Belle dachte, hatten sie in einer Scheune Zuflucht gefunden, und als er sich umschaute und beobachtete, wie die Männer, mit denen er in Etaples ausgebildet worden war, eng aneinandergedrängt versuchten, im Heu zu schlafen, fragte er sich, wie viele von ihnen es überhaupt bis zur Front schaffen würden. Etliche von ihnen hatten schlimmen Husten; andere liefen immer wieder nach draußen, weil sie Durchfall hatten, und von einem Mann, der heute zusammengebrochen war, erzählte man sich, dass er an einer Lungenentzündung litt.
Die meisten waren Bankangestellte, Verkäufer und Fabrikarbeiter sowie ein paar Lehrer, alles Männer, die nicht daran gewöhnt waren, sich ständig im Freien aufzuhalten. Die Ausbildung in Etaples hatte sie vielleicht bis zu einem gewissen Grad abgehärtet, doch dieser lange Marsch schwächte sie allmählich bis zur vollständigen Entkräftung.
Jimmy hatte das Gefühl, sich halbwegs gut zu halten, doch schließlich hatte er seit dem siebzehnten Lebensjahr bei Wind und Wetter schwere Fässer geschleppt und immer lange Arbeitstage gehabt. Noch dazu trug er unter seiner Uniform mehrere Schichten warmer Wollunterwäsche. Doch als er sich fröstelnd an seinen Tornister lehnte, quälte ihn trotzdem die Frage, wie viel schlimmer es noch werden würde.
Er hatte gehört, dass das schlechte Wetter die Kampfhandlungen an der Front leicht einschränkte, aber Captain Brunskill hatte gesagt, sie bräuchten sich nicht einzubilden, dass sie auf der faulen Haut liegen könnten. Die Schützengräben, die vom Britischen Expeditionskorps ausgehoben worden waren, seien rudimentär, und ihre Aufgabe sei es nun, diese Gräben auszubauen und zu verbessern.
Jimmy wünschte, er hätte sich nicht so voreilig gemeldet. Mittlerweile war ihm klar, dass die Deutschen über eine gewaltige Armee verfügten, und man erzählte sich, dass ein großer Teil des Britischen Expeditionskorps in Mons und dem, was als »Wettlauf zum Meer« bezeichnet wurde, aufgerieben worden war. Jene Männer waren erfahrene Soldaten, der französischen Armee zahlenmäßig zwar deutlich unterlegen, doch zäh wie Leder und extrem durchtrainiert. Alles, was England jetzt noch zu bieten hatte, um die Verluste auszugleichen, war Kitcheners Armee, ein Haufen junger Leute, die auf der Suche nach Ruhm ihr Zuhause verlassen hatten.
Jimmy konnte im Dunkel der Scheune nichts sehen – das Feuer, das sie vorhin draußen angezündet hatten, war vom Regen gelöscht worden –, aber er hörte Rascheln, Schnarchen und Husten, und er fragte sich, wie viele der anderen Männer heimlich weinten undsich wünschten, sie hätten sich nicht von Patriotismus oder ihren Freunden, die sich freiwillig gemeldet hatten, mitreißen lassen. Doch jetzt waren sie hier, und in wenigen Tagen würden sie an der Front sein. Es führte kein Weg zurück, es sei
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