Der Zauber von Avalon 01 - Sieben Sterne und die dunkle Prophezeiung
niemand kennt außer unserem Clan – oder ein wahrer Bildner wie du. Sie kann deine Freundin heilen! Doch schnell musst du gehen, sehr schnell. Denn ich spüre schon jetzt, wie ihr Leben in den Boden schmilzt.«
»Eil dich!«, rief Nuic, sein Körper wurde von Rot und Orange überflutet.
Tamwyn schaute auf den welligen Morast, der sich erstreckte, so weit er sehen konnte, und schluckte. Er wusste, was er zu tun hatte. Er wusste nur nicht, ob er es tun konnte.
35
Die geheime Quelle
T amwyn holte tief Luft und fing an zu laufen. Der Kreis der Lehmbildner teilte sich und ließ ihn durch. Wäh rend seine Füße unbeholfen über den Morast stapften und er bis zu den Waden im Schlamm versank, wäre es ihm lieber gewesen, wenn alle diese riesigen braunen Augen ihn nicht beobachtet hätten. Jetzt würden sie sehen, was er wirklich war – ein tollpatschiger Dummkopf und mehr nicht.
Und doch wusste er tief innen . . . dass er laufen musste wie ein Hirsch. Er musste! Es war die letzte Chance für Elli. Die
einzige
Chance.
Stampf, patsch, stampf, patsch
machten seine Füße. Hier kam er nicht voran. Schon einmal war er wie ein Hirsch gelaufen, in jenem Tal, auch wenn er nicht wirklich wusste, wie. Aber das war wenigstens auf festem Boden gewesen. Hier war nichts fest! Nur schwammiger Untergrund. Jeder einzelne Schritt machte Mühe. Die Schenkel schmerzten schon, dabei war er nur zwei Dutzend Meter weit gekommen. Wie konnte er sich nur verwandeln, um mit der Schnelligkeit und Anmut eines springenden Hirschs zu laufen?
Du kannst alles verändern, Tamwyn. Alles! Deinen Pfad
durch den Wald oder deinen Lebenspfad.
Die Worte der Herrin vom See – Rhia – kamen ihm blitzartig in Erinnerung. Sie schien ihm sehr nah zu sein, als würde sie tatsächlich auf seiner Schulter sitzen, wie Nuic auf ihrer gesessen hatte.
Er stapfte weiter.
Stampf. Patsch.
Schlamm quoll zwischen seine Zehen, klebte an seinen Sohlen, trocknete an seinen Knöcheln und Waden. Bei diesem Tempo würde er die heilende Quelle nie rechtzeitig erreichen!
Verzweifelt versuchte er sich vorzustellen, wie ein Hirsch sich bewegt. Diese Tiere liefen so schnell und so mühelos, dass sie fast auf der Luft zu laufen schienen. Nein –
wie Luft
zu laufen. Teil der Brise, des Windes. So leicht wie die Luft.
Er dachte an diesen flaumigen weißen Samen, vom Wind getragen, mit dem er in jenem Tal um die Wette gelaufen war. Schneller rannte er, noch schneller. Seine Füße schienen jetzt ein wenig leichter zu sein, seine Schritte etwas müheloser.
Wie ein Samen im Wind.
Er beugte sich weiter vor, streckte den Hals und dehnte die Arme nach vorn.
Wie der Wind selbst.
Strecken . . . dehnen . . . laufen mit der Leichtigkeit des Winds. Seine Knie bogen sich zurück. Seine Schritte wurden länger, sicherer und kräftiger.
Strecken.
Plötzlich spürte er, wie seine Hände den Boden berührten. Waren das wirklich seine Hände?
Dehnen.
Sein Rücken zog sich in die Länge, ebenso sein Hals.
Laufen.
Die Nase wurde länger und vereinte sich mit dem Kinn. Große, empfindliche Ohren drückten sich flach an den Kopf, direkt hinter seinem Geweih.
Er war ein Hirsch!
Mit Anmut und Kraft flog Tamwyn über die schlammige Ebene. Seine Hufe berührten den Boden nur leicht und nur lange genug, um sich wieder in die Luft zu heben. Springend und gleitend, springend und gleitend raste er über die Ebene und spürte dabei, wie der Wind sein Fell zauste.
Gleich darauf roch er etwas Neues, etwas ganz Anderes als den nassen Schlamm. Es war nur ein schwacher Duft, mehr ein Gefühl als ein Geruch. Und doch wusste er sofort, was es war: der vertraute Hauch von Magie in der Luft.
Er folgte dem Duft und bog ein wenig nach rechts. Wie im übrigen südlichen Reich von Lehmwurzel waren keine Erkennungszeichen zu sehen, nur die sanft ansteigenden Ebenen. Keine Bäume, keine Berge, noch nicht einmal weitere Schlammhügel, die in Wahrheit vermummte Geschöpfe waren. Wie mochten diese Lehmbildner beschaffen sein? Und welche seltsamen Kräfte hatten sie?
Braun, braun, braun. Selbst der bewölkte Himmel nahm die Farbe dieses Landes an. Tamwyn wusste, dass hinter diesen dicken Wolken nur noch zwei Sterne im Zauberstab geblieben waren. Und er fragte sich, ob Avalon mehr Chancen hatte als Elli, diese Zeit zu überleben.
Während er über die Ebene lief, folgte er dem Duft der Magie, der immer stärker wurde, bis Tamwyn das Prickeln nicht nur in der Nase spürte, sondern auch in der Kehle, in den Lungen,
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