Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
starrköpfig, um zu gehorchen.«
Elli kaute an ihrer Lippe. »Manche Geschöpfe sind so. Selbst weibliche.«
»
Besonders
weibliche«, verbesserte Nuic. Er rutschte näher an Ellis Ohr. »Und ganz besonders die Priesterinnen.«
Bei den letzten Worten schien ihr Blut zu gefrieren. Sie drückte den zerrissenen Streifen vom Gewand der Hohepriesterin, den sie an ihren Gürtel gebunden hatte. Aus alter Spinnenseide gewebt, fühlte sich der Stoff so zart an wie der Flügel einer jungen Eule. »Ich hoffe nur, dass wir Coerria noch auf dem Drumanergelände antreffen. Und dass wir rechtzeitig genug kommen, ihr zu helfen.«
»Sie wird schon noch dort sein«, erklärte Nuic. »Soweit ich sie kenne, ist das der Ort, an dem sie sich in einer Zeit der Gefahr am liebsten aufhält.«
»Ja«, stimmte Elli zu, während sie schon weiterging, ihre Füße knirschten eilig über den Schnee. Brionna neben ihr winkte Shim aufmunternd zu, damit er sich beeilte. Dann setzte Elli das Gespräch fort, mit ihren Gedanken war sie immer noch auf dem Drumanergelände.
»Glaubst du«, fragte sie Nuic, »dass die umgestürzte Säule in unserer Vision von dort war? Das könnte nur eins bedeuten
. . .
«
»Unheil«, antwortete der Geist. »Schweres Unheil.«
»Wir sind jetzt weniger als eine Tageswanderung entfernt.«
Brionna griff nach ihrem langen, honigfarbenen Zopf und warf ihn über die Schulter. »Elli, ich habe eine Frage.«
Elli wandte sich dem Elfenmädchen zu, das so anmutig neben ihr ging. »Bitte. Worum geht es?«
»Um die Hohepriesterin Coerria. Was ist sie für ein Mensch? Was findest du an ihr so besonders, dass du alles fallen lässt und so weit wanderst, nur weil du hoffst, ihr helfen zu können?«
Nachdenklich schürzte Elli die Lippen. »Wo fange ich an?« Sie trat über das vereiste Ufer eines Bächleins. »Sie ist
. . .
nun, sie ist
. . .
«
»Hmmmpff«, kommentierte Nuic. »Sehr aufschlussreich.«
»Lass mir ein bisschen Zeit«, fuhr Elli ihn an. »Es ist schwer zu beschreiben.« Sie ging rasch und dachte angestrengt nach, aber die richtigen Worte fielen ihr einfach nicht ein.
Plötzlich blieb sie stehen und bückte sich nach einem Schneehaufen auf den Wurzeln einer knorrigen alten Ulme. Dort lag ein kleiner Ast, dünner als ein Finger, der vom Baum gefallen war. Elli hob den Zweig auf, schüttelte den Schnee von seinen zerfetzten Blättern und sagte nur: »Sieh her.«
Sie nahm den Ast in beide Hände und brach ihn entzwei. Tief in seiner Mitte, weit unter der harten braunen Oberfläche, war ein schmaler grüner Ring. Er sah so lebendig aus wie ein frisch gewachsenes Blatt und könnte zu einem robusten jungen Baum gehört haben.
»Das ist Coerria«, sagte Elli leise. »Äußerlich verwittert, aber innen noch grün und saftig.«
Brionna fuhr mit dem Finger über das Holz und lächelte. »Ich verstehe, was du meinst.«
Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck so schnell, wie der Wind sich dreht. Sie sah Elli an und sagte: »Aber etwas macht mir Sorgen. Das saphirblaue Einhorn wollte nicht, dass du direkt zu Coerria gehst. Es sagte, du sollst zuerst zur Herrin.«
»Aber dafür könnte die Zeit nicht reichen! Coerria braucht mich – das ist alles, was ich wissen muss.« Elli schaute unsicher den Geist auf ihrer Schulter an. »Die Herrin wird das verstehen, nicht wahr?«
Nuics Färbung dunkelte ins Grau-Violette. »Nein«, antwortete er entschieden. »Das wird sie nicht. Nachdem ich mehrere Jahrhunderte lang ihr treuer Maryth gewesen bin – und mehrere Wochen lang deiner –, kann ich dir versichern, dass sie genauso starrköpfig ist wie du.«
Die junge Priesterin schluckte. »Nun, dann muss ich einfach hoffen, sie versteht, dass Freundschaft mein Grund für diese Entscheidung ist.«
Nuics kleiner Mund bog sich mürrisch nach unten. »Wir sollten lieber weitergehen.«
6
Nie mehr fliegen
E lli umklammerte den Streifen von Coerrias Gewand und schritt rasch aus, Nuic hielt sich an ihrer Schulter fest. Ihr Tempo war noch schneller als zuvor, weil sie das Dumanergelände – und Coerria – vor Einbruch der Nacht erreichen wollte. Brionna rückte ihren Langbogen zurecht und folgte, leicht schritt sie über die Flecken mit Schnee und trockenem Gras. Shim hinter ihnen musste rennen, wenn er nicht zurückbleiben wollte.
Aus den Bergen kamen sie hinaus zu den vereinzelten Bauernhöfen mitten in Steinwurzel. Obwohl das Klima hier im Allgemeinen wärmer war als in der Höhe, lagen Schneeverwehungen in jeder Furche und im
Weitere Kostenlose Bücher