Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
Schatten jeden Obstbaums. Die Gefährten kamen durch Felder, auf denen seit langem Gerste zum Bierbrauen angebaut wurde, und durch offenes Weideland, wo Pferde und Schafe am liebsten überwinterten.
Immer häufiger hörten sie Glocken: Sie läuteten von Dächern, Scheunentoren und Wetterfahnen, bimmelten an den Beinen der Enten und Gänse, die über die Wanderer flogen, und klimperten von Ziegenhälsen und den Hüften von Frauen, Männern und Kindern, die in den Steinhäusernder Dörfer wohnten. Denn diese Region war das Glockenland, wo Schellen und Bimmeln aus Stein, Metall oder Holz ständig ertönten.
Elli ging durch ein Feld, das schmelzender Schnee in Schlamm verwandelt hatte, und blieb stehen, um einen Klumpen von ihrer Ledersandale zu schütteln. In der Ferne hörte sie die Glocke eines trabenden Fohlens. Der Klang erinnerte sie an die kleine Quarzglocke, die von Tamwyns Hüfte hing und bei jeder Bewegung klirrte. Elli reckte das Kinn.
Im Weitergehen wanderten ihre Gedanken zu einer anderen Glocke, die ihr in der kurzen Zeit auf dem Drumanergelände lieb geworden war. Die Schnallenglocke – aus der Gürtelschnalle eines Riesen mit dem Atem eines Feuerdrachen geschmolzen und von Zwergschmieden und Feenkünstlern gestaltet – ging auf Elen die Gründerin zurück. Seit fast tausend Jahren, seit die Gemeinschaft des Ganzen existierte, hatte sie das höchste Ideal der Gemeinschaft, die Harmonie unter allen Geschöpfen, symbolisiert. Wenn dieses Ideal das Herz des Drumanergeländes – oder vielleicht, überlegte Elli, des Lebens in Avalon – war, dann stellte kein einzelner Gegenstand es besser dar als die Schnallenglocke.
Und wie diese Glocke läutete! Elli lächelte vor sich hin bei der Erinnerung an das erste Mal, als sie sie gehört hatte. Sie war erst an jenem Morgen angekommen und hatte beschlossen, das große Gebet zu schwänzen – etwas, das sie dann noch oft tun würde. Sie hatte sich hinter einem dichten Busch mit reifen Brombeeren versteckt und aß geradeeine Hand voll saftiger Früchte, als plötzlich, direkt hinter ihr, die große Glocke erklang – so laut, dass Elli rücklings umgefallen war und überall Brombeeren verstreut hatte.
Sie wanderten weiter durch Steinwurzels lebende Steppdecke aus Weiden, Kornfeldern und wilden Wiesen. Mit jedem Schritt schien sich bei allen das Gefühl der Dringlichkeit zu steigern, genau wie ihr Tempo, so dass Shim häufig rennen musste, um mitzukommen.
Plötzlich, Elli hatte gerade die Spitze eines Hügels erreicht, blieb sie stehen – so abrupt, dass Nuic sich kaum an ihre Schulter klammern konnte. Brionna hielt ebenfalls an und stand, genau wie Elli, starr wie ein junger Baum in einer windstillen Nacht. Allerdings nur, bis Shim von hinten auf die beiden prallte.
»Also, noch niemals nicht!«, knurrte er und rieb sich die Spitze seiner Knollennase. »Du sollen nicht so stehen bleiben, Elli. Du auch nicht, Rowanna.«
Das Elfenmädchen knurrte: »Brionna. Zum hundertsten Mal Brionna.«
»Was sagen du, Rowanna?« fragte er und legte die Hand hinters Ohr.
Aber sie gab keine Antwort. Denn wie Elli und Nuic starrte sie auf die Außenmauer des Drumanergeländes. Oder auf das, was die Außenmauer sein sollte. Ein riesiges Loch war hineingeschlagen worden, Steinplatten und zerbrochene Balken lagen ringsum verstreut. Die Mauer glich jetzt einer eingeschlagenen Zahnreihe mit einer großen Lücke in der Mitte. Dahinter, wo so lange die Gebäude derGemeinschaft, die Tempel, Gärten und edelsteingeschmückten Höhlen gewesen waren, stiegen Rauchwolken auf.
»Großer Dagda«, murmelte Nuic und färbte sich scharlachrot. »Was könnte da geschehen sein?«
Elli und Brionna rannten los. Shim folgte. Weil er so alt war, hinkte er ein wenig, aber ihm lag genauso viel daran, das Gelände zu erreichen. Sie liefen an herumliegendem Schutt vorbei, durch die zerschlagene Mauer – und blieben wieder stehen.
Da lag im Schmutz die Schnallenglocke. Ihr großer aufgerissener Mund war von heftigen Schlägen eingedrückt. Mehrere gezackte Sprünge zogen sich im Metall in die Höhe. Ein großer Brocken war ganz herausgebrochen und lag auf dem Boden. Das verschlungene Muster am Rand war an vielen Stellen weggekratzt worden. Und der alte Klöppel, angeblich ein Geschenk von Elen, war nirgends zu sehen.
Elli schüttelte sich, um ihren Schock und die Fassungslosigkeit zu überwinden. »Coerria«, rief sie und rannte an der zerstörten Glocke vorbei tiefer ins Gelände.
Wohin sie
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