Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
zum Schreien. Aber kein Laut kam heraus. Sie schwankte, schaute Scree an und stürzte auf den Boden des Nests.
»Nein!«, brüllte Scree, während er sich neben sie kniete und ihren Kopf an seine Brust zog. Zugleich schaute er auf, um festzustellen, von wem dieser schreckliche Schuss kam – und sah gerade noch, wie ein weiterer Pfeil direkt auf ihn zu schwirrte.
Er rollte sich rechtzeitig zur Seite. Der Pfeil streifte seine Schulter und fuhr tief in ein Tischbein. Scree zog Arc-kaya mit letzter Kraft an eine geschützte Stelle zwischen zwei Medizinschränken.
Doch vorher konnte er noch einen Blick auf den Schützen werfen.
Er war ein Adlermann! Er war jung, aber schon erwachsen und nach seinem Aussehen bereits ein erfahrener Krieger. Sein Gesicht wirkte hochmütig und höhnisch, als er selbstzufrieden grinsend über das Nest flog, den schweren Bogen in einer Kralle, und hinter dem Rand verschwand.Weitere Adlermänner, alle bewaffnet, folgten dicht hinter ihm.
»Feiglinge!«, schrie Scree zornig. »Verräter! Warum kämpft ihr nicht mit euren Klauen wie richtige Adlermänner?«
Doch sein Ruf ging unter in dem plötzlichen Lärm, der sich auf allen Seiten erhob. Direkt hinter den Wänden von Arc-kayas Nest ertönten die Schreie und Klagen des Adlervolks. Durch das Dorf, das noch vor kurzem voll von Geräuschen des täglichen Lebens gewesen war – Gelächter, Gespräche und Werkzeuge bei der Arbeit – hallte jetzt Wut- und Schmerzgeheul.
Mit einem Blick auf die zusammengesunkene Frau vor ihm, deren flaumiges graues Haar nun von blutigen Strähnen durchzogen war, drehte sich Scree auf den Knien. Er fasste den Pfeil und versuchte ihn herauszuziehen. Arckaya stöhnte schmerzvoll und bog den Rücken. Aber Scree war nicht kräftig genug! Der Pfeil rührte sich nicht.
Er lehnte sie vorsichtig an den Schrank und versuchte aufzustehen.
Wenigstens kann ich gegen diese Feiglinge kämpfen
, sagte er sich.
Selbst wenn ich nicht Adlergestalt annehmen kann, gelingt es mir vielleicht –
Arc-kaya regte sich, sie öffnete die Augen. Obwohl sie ihren Blick offensichtlich nicht konzentrieren konnte, erkannte sie Scree und griff nach seinem Unterarm.
»Nein«, sagte sie heiser. »Geh nicht. Sie werden dich auch töten.«
Er schüttelte sie ab. Mit Tränen in den Augen sagte er: »Ich muss gehen! Muss gegen sie kämpfen! Irgendwie helfen.«
Schwach fuhr sie mit einem Finger über sein Kinn. »Hilf, indem du lebst. Ja, Scree. Bleib nur am Leben
. . .
mein Sohn.«
Sie keuchte, dann flüsterte sie ihre letzten Worte so leise, dass Scree sie kaum hören konnte. »Hoch hinauf
. . .
frei hinaus.«
8
Mit der Trauer allein
A ls Scree Arc-kayas Nest verließ und ins Dorf hinaus wankte, war das Massaker schon vorbei. Leichen des Adlervolks – Kinder und ihre Eltern, Künstler und Händler, Frauen und Männer – lagen überall, die meisten waren von tödlichen Pfeilen getroffen worden, bevor sie die Möglichkeit hatten, ihre Adlergestalt anzunehmen. Die wenigen, denen Flügel gewachsen waren und die versucht hatten, das Dorf zu verteidigen, waren brutal niedergeschlagen worden; die Angreifer hatten ihre Körper aufgeschlitzt und die Klauen abgerissen.
Bei der gemeinschaftlichen Kochstelle, wo viele Dorfbewohner ums Leben gekommen waren, herrschte ein wüstes Durcheinander. Scree sah umgeworfene Geräte und Marktstände, verstreute Lebensmittel und Herdkohlen, die nach verbranntem Fleisch rochen. Dicker, dunkler Rauch stieg düster zum Himmel und verdeckte die Spitze von Hallias Gipfel. Die wenigen Überlebenden wanderten entweder im Schockzustand umher oder sie beweinten die Leichen ihrer Toten.
Die meisten Waren vom Dorfmarkt waren noch da, doch Schmuck, Werkzeug und Kristalle hatten die Angreifer mitgenommen– alles, was wertvoll war. Offensichtlich hatten sie den brutalen Überfall unternommen, um zu stehlen und zu plündern. Scree war überzeugt, dass der abtrünnige Clan das getan hatte, der mit Weißhand und Rhita Gawr unter einer Decke steckte.
Und noch etwas erschien ihm sicher. An dem hochmütigen jungen Mörder von Arc-kaya waren ihm die rotgestreiften Beine und die schwarzen Flügelspitzen aufgefallen: eindeutige Kennzeichen des Bram Kaie Clans. Er kannte sie von seinen Reisen durch Feuerwurzel. Und er kannte auch ihre Anführerin.
Sie kannte er nur zu gut. Denn er hatte sich dazu verführen lassen, ihr zu vertrauen, und seine unangebrachte Gutgläubigkeit hatte ihn fast Merlins Stab gekostet, den er nach
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