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Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore

Titel: Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron , Irmela Brender
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seinem Versprechen so gut beschützen wollte wie sein eigenes Leben. Nie hatte er jemandem von diesem schrecklichen Irrtum erzählt, noch nicht einmal Tam, denn manche Geheimnisse waren einfach zu peinlich, um mitgeteilt zu werden.
    Doch er konnte es nie vergessen.
    Den Rest des herzzerreißenden Tages verbrachte er damit, Überlebende zu finden und ihnen zu helfen. Viele waren es nicht, weniger als ein Dutzend von den sechzig oder siebzig Adlermenschen, die in diesen Nestern gelebt hatten. Er fand drei Frauen und zwei Männer, alle verletzt, und einen alten Mann in geflügelter Gestalt, der so benommen war, dass er nur noch blind umherwanken konnte und die angesengten Flügel hinter sich herschleifte. Auch fünf Kinder hatten überlebt – unter ihnen Hawkeen, der Adlerjungemit den goldenen Augen, der an diesem Morgen mit so viel Vergnügen Fangen gespielt hatte.
    Mit Arc-kayas Beständen und den wenigen Heilmethoden, die er sich von ihr abgeschaut hatte, bemühte sich Scree nach Kräften, die Wunden möglichst vieler Verletzter zu reinigen und zu verbinden. Doch er wusste, dass sie die tiefsten Wunden in der Seele erlitten hatten.
    Am nächsten Tag begannen die Überlebenden mit der schwierigsten Aufgabe. Zum Begräbnis der Toten musste nach der Tradition des Adlervolks ein Erdhügel gebaut und mit Steinen bedeckt werden. Und in diesem Fall, bei so vielen Leichen, musste der Hügel sehr groß sein.
    Obwohl es Scree bis an die Grenzen seiner Kraft anstrengte, trug er mit den anderen Dorfbewohnern Erde und Steine zu einem weiten Feld bei den jetzt stillen Nestern. Den ganzen Tag taten die Überlebenden ihr Bestes, um einander zu helfen, wobei nur wenig geredet wurde. Selbst wenn sie eine Pause machten und Wasser tranken oder Bärenfleisch in geräucherten Streifen aßen, schwiegen sie und starrten traurig auf den wachsenden Hügel. Wie die anderen hatte Scree das Gefühl, mehr zu begraben als nur ein Dorf.
    Nichts, was er an diesem Tag trug, kam ihm so schwer vor wie Arc-kayas schlaffer Körper. Sie war die Letzte, die beerdigt wurde. Wie Scree es jetzt schon zu oft getan hatte, legte er den Körper nach Sitte der Adlermenschen mit ausgebreiteten Armen auf den Hügel. Sanft bedeckte er sie so gut wie möglich mit Federn und trockenem Gras.
    Bevor er den ersten Korb voll Erde über ihren Körperschüttete, kniete er sich neben sie. Mit einem ihrer Messer aus Feuerstein schnitt er eine Locke von ihrem grauen Haar ab. So leicht wie die Schwanzfeder eines jungen Vogels fühlte sie sich an und er betrachtete sie einen langen Augenblick, bevor er sie sich um das Fußgelenk band.
    Endlich, als der letzte Stein gelegt war, stand Scree finster vor dem Berg. Er streckte die Arme, die steif und aufgeschürft waren von der Arbeit des langen Tages, und rieb sich die schmerzenden Muskeln seines Schenkels   – Muskeln, an deren Heilung Arc-kaya so sehr gearbeitet hatte. Er senkte den Kopf und flüsterte mit einer Stimme, die nur der Wind hörte: »Hoch hinauf, Arc-kaya. Frei hinaus.«
    Dann hoben sich direkt hinter ihm plötzlich Stimmen in einem Lied. Er drehte sich um und sah das erwachsene Adlervolk in einer Reihe aufgestellt, die geschwungen war wie ein Flügel. Die Adlermenschen begannen die heiligen Choräle ihres Clans zu singen. Überrascht stellte Scree fest, dass ihn diese Musik gefangen nahm und seine Stimmung hob wie eine Feder in der Brise.
    Während des Gesangs erkannte Scree, dass er noch nie so schöne Töne aus dem Mund seiner Artgenossen gehört hatte. Obwohl die Musik einfach war und von Leid geprägt, nahm sie ihn auf, trug ihn empor und wiegte ihn auf Gefühlsströmen, die seit Generationen durch das Adlervolk geflossen waren.
    Schließlich fielen die Kinder ein, zögernd zuerst, von Schluchzen unterbrochen. Aber bald sangen sie klar, ihre kleinen Stimmen verschmolzen mit den anderen so mühelos wie einzelne Federn sich zu einem Flügel vereinen. UndScree wusste, dass sie mehr als Stimmen hinzufügten. Sie gaben dem Gesang eine gewisse Hoffnung. Denn dass es hier noch Kinder gab, bedeutete, dass dieses Dorf und dieser Clan weiterleben würden.
    Er wandte sich von Arc-kayas Leiche ab und schaute in die Gesichter der Kinder. Sie waren, wie er erwartet hatte, von Schmerz und Verlust gezeichnet, denn unter den Begrabenen befanden sich ihre Mütter, Väter, Schwestern und Brüder. Und doch zeigten sie trotz ihrer Jugend etwas von der legendären Wildheit, vom Mut und dem Überlebenswillen der Adlermenschen.

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