Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
dass er nicht weniger Gefahren zu erwarten hatte. Und er wusste auch, dass er wie sein Bruder einfach sein Bestes tun musste, um zu überleben.
9
Ewig leben
T amwyn griff hinauf und hielt sich an einem Vorsprung aus rauem braunen Felsen über seinem Kopf fest. Er zog sich höher und spannte die schmerzenden Arme an, um den oberen Rand zu erreichen. Schweiß rann ihm von der Stirn in die Augen und brannte.
Nur noch ein bisschen höher
, dachte er wild entschlossen.
Jetzt bin ich fast oben.
Plötzlich brach der Felsvorsprung ab, Steine flogen durch die Luft und Tamwyn taumelte zurück. Er rutschte und fiel die Klippe hinunter, bis er zu einem Halt rollte. Einen Augenblick lag er auf dem Rücken, Staub wirbelte um ihn herum und er horchte auf das klingende Echo der Quarzglocke an seiner Hüfte – und den leiseren, tieferen Klang der Holzplatte in seinem Bündel.
»Beim Trödel der Trolle!«, fluchte er und zwang sich trotz seines Schwindels zum Aufsitzen.
Er schaute hinauf zu der Klippe, die sich über ihm türmte. So steil, so leblos. Seit zwei Tagen war alles, was er gesehen hatte – bis auf das grinsende Gesicht des Hoolahs hin und wieder –, Felsen. Rauer brauner Felsen. Er war überall, stieg immer höher, ragte direkt in den Himmel genau wie
. . .
Er schüttelte den Kopf, so dass eine Wolke aus Schmutz und Staub aufwirbelte.
Genau wie ein Baumstamm.
Das war es natürlich, was er erkletterte. Nur war das hier kein normaler Baum. Er ragte offenbar immer höher. Und diese endlosen braunen Grate waren in Wirklichkeit die Rinde – die krustige Oberfläche der tieferen Schichten des Stamms.
Er blinzelte sich den Staub aus den Augen und spähte in die dichter werdenden Nebelwolken über sich. Die Klippen hinter dem Vorsprung stiegen hoch, bis sie schließlich im Dunst verschwanden. Wie weit er gekommen war, konnte er nicht abschätzen, aber er war überzeugt, dass er seit dem Weggang von Scree nur einen winzigen Bruchteil des Stamms erstiegen hatte.
Schließlich hatte er noch nicht einmal das schäumende Meer erblickt, das angeblich irgendwo hier oben war. So wenig wie sein eigentliches Ziel, also nicht das Meer – oder das seltsame Anhängsel, weder Wurzel noch Ast, das es umfasste. Nein, was er finden wollte, war die Pforte in der Nähe des Meers: die höchste Pforte in den unteren Reichen, die ihn tief in den Baum hineinführen konnte. Denn er wusste, dass seine Hoffnung nicht darin bestand, außen den großen Baum hinaufzusteigen, wie er es jetzt tat – das konnte ewig dauern. Er musste vielmehr einen Weg irgendwo
innen
finden.
Von Barden hatte Tamwyn erfahren, dass sein Vater gehofft hatte, dieser innere Weg werde ihn mit der Geschwindigkeit von Pforten bis an die Spitze tragen. Schließlich hatte Krystallus durch Pforten den Zugang zu jedem der sieben Wurzelreiche gefunden, selbst zu Schattenwurzel,und er hatte überlebt. Trotz der Gefahren bot die Pfortensuche die schnellste Möglichkeit, große Entfernungen zurückzulegen.
Und selbst die größten Entfernungen zwischen den Wurzelländern waren klein im Vergleich zu dem ungeheuren Ausmaß der oberen Bereiche von Avalon. Sogar Krystallus selbst glaubte, dass der Stamm alle sieben Reiche zusammen an Größe weit übertraf. Und wenn man dann bedachte, wie riesig die Äste und all die Länder, die sie enthielten, sein konnten
. . .
Tamwyn schüttelte den Kopf, schon der Gedanke an dieses Ausmaß überwältigte ihn.
Und hier versuche ich bis hinauf zur Spitze und zu den Sternen darüber zu kommen! Und das in wenigen kurzen Wochen, bevor Rhita Gawr uns alle zerschmettern kann.
Aber er wusste, dass er jetzt nicht darüber nachdenken sollte. Es war besser, sich auf die nächsten Schritte zu konzentrieren. Zuerst musste er die Pforte beim schäumenden Meer finden und von dort das Innere des Stamms erreichen. Dann würde er zur legendären großen Kernholzhalle tief im Baum gehen, die sein Vater auf einer seiner früheren Expeditionen entdeckt hatte – und von der Krystallus glaubte, dass hier der Schlüssel zum Erreichen des oberen Stamms, der Äste und schließlich der Sterne lag.
Tamwyn wischte sich ein paar Steinsplitter von der Augenbraue, dann nahm er aus seinem Bündel die Flasche, die er aus weichen Lederbinsen gemacht hatte. Er entkorkte sie und trank – den letzten Schluck, nur ein paar kleine Tropfen. Er leckte sich die restliche feuchte Spur von den Lippenund wusste, dass er nichts mehr zu trinken haben würde, bis er das schäumende
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