Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
sie.
Denn so nass es hier auch war, es war nicht annähernd so nass wie die Umgebung. Jetzt erkannten sie, dass sie sich auf einer Insel befanden: einer von vielen, die über ein großes, wogendes Meer verteilt waren, das sich unendlich nach allen Seiten zu dehnen schien. Wellen zogen sich über die Flächen, Kamm hinter Kamm, eine endlose Folge weißer Schaumkronen, die schließlich an die durchweichte Küste der Insel schlugen. Die Brise roch nach Seewasser, reich mit Salz und Tang und noch etwas gewürzt: einer Andeutung von ungeheuren, unerforschten Tiefen.
Aber nicht nur die Größe dieses Ozeans verblüffte die Gefährten. Es war die
Farbe.
Denn unter der Oberfläche flossen und wirbelten leuchtende Ströme, sie vermischten und verschmolzen Wasser zu jeder denkbaren Schattierung. Deshalb schimmerte jede einzelne Welle in schillerndem Rot, Grün, Orange, Lila, Gelb und Violett und im darunter liegenden Blau. Wie flüssige Prismen vibrierten die Wellen in strahlenden Farben und machten das ganze Meer zu einem großen, gekräuselten Regenbogen.
Dadurch wusste Elli zweifelsfrei, dass sie, wie Rhia versprochen hatte, bei den Regenbogenmeeren angekommen waren. Irgendwo in diesem Teil von Wasserwurzel war der Fürst der Wasserdrachen zu Hause. Aber wo? Und würden sie seine Höhle bald genug finden?
Nicht weit von der Küste sprangen violett gefärbte Delfine aus den Wellen. Ihre glänzenden Körper schimmerten lavendelfarben, die Rückenflossen leuchteten golden. Wenn sie aus den farbenprächtigen Strömen stiegen, hingen sie in einem verlängerten Glücksmoment in der Luft – teils Körper, teils Wasser, teils ungeschmälerte Freude.
Hinter den Delfinen und der fernsten sichtbaren Insel hob sich eine riesige spiralförmige Wolke in den Himmel. Sie begann an einem Punkt am Horizont, dann stieg sie immer höher und wurde dabei umfangreicher. Obwohl sie sehr weit weg war, kam sie Elli riesig vor – ein geblähter Trichter von Dämpfen, die sich in die Wolkenbänke darüber und vielleicht noch höher hoben. Möglicherweise, überlegte sie, stieg sie bis in den magischen Nebel, der um Wurzeln und Stamm des großen Baums waberte.
Elli hielt den Atem an. Die Spirale stieg nicht einfach in den Nebel. Sie
war
der Nebel.
»Der Urquell«, flüsterte sie verwundert. »Genau hier!«
»Bei Dagda!«, rief Lleu. »Du hast Recht! Ich habe so viele Lieder von Barden darüber gehört, aber nie geglaubt, dass ich ihn tatsächlich sehen würde.
Vom Nebel der Quell, Wunder so hell
.«
Catha betrachtete die Wolke leise gurrend.
»All der Nebel, der unsere Welt umgibt«, sagte der Priesterehrfürchtig, »beginnt an dieser Stelle. Jedenfalls glaubte das der Forschungsreisende Krystallus. Er schrieb darüber, nachdem er über die Regenbogenmeere zum Gischtmeer gesegelt war.«
»Das Gleiche hat Serella getan, die erste Königin der Elfen«, fügte Brionna hinzu. Nachdenklich fuhr sie mit dem Finger ihren honigfarbenen Zopf entlang und schleuderte das Wasser von der Spitze. »Sie glaubte auch, dass der Nebel, der aus dem Urquell steigt, nie aufhört – dass er immerzu aus dieser Stelle strömt und als Regen zu den umgebenden Meeren zurückkehrt, nur um wieder in den Himmel zu steigen.«
»Das könnte bedeuten«, überlegte Elli, »dass wir denselben Nebel betrachten, der vor Jahrhunderten die Küsten des versunkenen Fincayra umschloss. Und der lange davor aus der Anderswelt strömte. Also könnte die neblige Luft, die wir jetzt atmen
. . .
«, sie sog sie langsam ein, »auch Merlin geatmet haben.«
»Oder Serella«, sagte das Elfenmädchen neben ihr.
»Oder Dagda«, ergänzte Lleu. Er schaute zu dem Falken auf seiner Schulter und nickte. »Oder sogar Merlins eigener Falkenfreund Verdruss.«
»Hmmmpff«, meldete sich Nuic aus dem Bach. »Jetzt vergesst darüber nicht Hargol. Auch er atmet – aber zu unserem Glück kein Feuer.«
»Einmal hörte ich einen alten Barden sagen«, erinnerte sich Lleu, »dass Wasserdrachen, wenn sie sehr zornig werden,
Eis
atmen. Ich weiß nicht, ob das stimmt.«
»Wir finden es lieber nicht heraus«, meinte Elli undstellte dann die Frage, die alle beschäftigte: »Wo finden wir Hargol?«
»Nicht weit von hier, glaube ich.« Brionna schaute nach Westen, weg vom Nebelquell. Sie konzentrierte sich auf einen dunklen Fleck, den sie mit ihrem außerordentlichen Sehvermögen am Horizont entdeckte, und klopfte auf ihren Langbogen, so dass die Tropfenreihe von der Sehne fiel. »Immer wenn ich mit
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