Der Zauber von Avalon 03 - Die ewige Flamme
gepeinigt, die tückisch versuchten, ihm die Augen auszuhacken. Nur die Größe der Riesenhände, mit denen der oder die Angegriffene das Gesicht bedeckte, hinderte die Mördervögel daran, erfolgreich zu sein. Doch diese Hände, die jetzt von den Ghoulacakrallen schwer verletzt waren, konnten nicht viel länger durchhalten. Da machte das Opfer etwas, das bei Riesen außerordentlich selten war: Es wimmerte schmerzlich und zitterte unter dem Angriff.
Entsetzt starrte Shim auf die Szene. Obwohl andere Riesen ihm häufig aus dem Weg gingen, seit er dazu verflucht war, ein Zwerg zu sein, erwachten bei ihm alle alten Loyalitätsgefühle. Ein Zornesrausch überkam ihn. Er schwenkte die kleinen Arme und stürmte voran mit dem Ruf: »Fort mit euch, ihr grässlichen Vögel! Verletzt nie mehr einen anderen Riesen, sonst reißen Shim jede einzelne eurer scheußerlichen Federn aus! Bestimmt werden ich …«
Er stolperte über ein Horn des Feuerochsen und fiel mit einem Platsch auf den Boden. Im selben Moment stürzte sich ein Trupp Adlermänner, von Cuttayka angeführt, auf die Ghoulacas und jagte sie davon. Bis Shim sein lehmbeschmiertes Gesicht hob, war von den Mördervögeln nichts mehr vorhanden außer ihren ängstlichen Schreien in der Ferne.
»Ha«, gluckste Shim und wischte sich einen Schlammbrocken aus dem Auge. »Sehen so aus, als sein ich immer noch ein bisschen riesentlich.«
Langsam senkte der enorme Riese, den er gerettet hatte, die blutigen Hände und schaute ihn grenzenlos dankbar an. Es war ein Blick, wie ihn nur ein echter Held verdient.
Doch Shim wich zurück. Entsetzt riss er die Augen auf, sein ganzer Körper von der geschwollenen Nasenspitze bis zu den Zehen zitterte. Er erkannte diese Riesin, als wäre sie aus seinem schlimmsten Albtraum getreten! Sie war niemand anders als Bonlog Bergschlund – die Riesin, die ihn vor Jahrhunderten verflucht hatte!
Er fuhr herum und watschelte davon, so schnell er konnte. Doch das war nicht schnell genug. Bonlog Bergschlund packte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Sie hob ihn, während er heftig strampelte, hoch in die Luft, bis er über ihrem riesigen, sabbernden Mund hing.
Shim wurde beinah ohnmächtig. Das war der Mund, mit dessen riesigen, speichelfeuchten Lippen sie versucht hatte, ihn bei der Schlacht an der versiegten Quelle zu küssen! Obwohl er ihr in dieser so lange zurückliegenden Schlacht zufällig das Leben gerettet hatte, war er in die Berge geflohen, sobald sie versuchte, ihm mit einem Kuss zu danken. Weil sie Shim für diese Demütigung bestrafen wollte, hatte sie ihn dazu verflucht, seine Riesengröße zu verlieren. Und damit immer noch nicht zufrieden, hatte sie Shim noch viele Jahre danach verfolgt. Der Zorn einer verschmähten Riesin kennt keine Grenzen.
Jetzt, das wusste Shim, würde sie endlich Rache nehmen. »Bitte, verehrte Bergschlund«, flehte er, »seien du gnädiglich mit mir armem geschrumpelten Kerl.«
Sie überhörte seine Bitten. Während Speichelströme ausihrer Mundhöhle schossen, hob sie ihn näher. Er schloss die Augen, bestimmt wollte sie ihn auffressen.
Doch sie spitzte die enormen Lippen und küsste ihn! Ihre Lippen schmatzten so laut, dass er glaubte, die ganze Welt sei explodiert.
Zu seiner Überraschung war das nicht der Fall. Bonlog Bergschlund hatte auch keine weiteren Bestrafungen im Sinn. Sie setzte ihn wieder auf den schlammigen Boden, stand auf und wandte sich zum Gehen. Obwohl Shim kaum etwas sah durch die klebrige Speichelmasse, die ihm übers Gesicht rann, war ihm, als hätte sie ihm zugezwinkert.
Während sie davonstapfte und die Ebene durch ihr Gewicht erschütterte, wurde Shim ganz eigentümlich zumute. All das Schreien, Rufen und Waffengeklirr, der ganze Schlachtenlärm ringsum hörte plötzlich auf, sodass er sich fragte, ob der Radau ihres Kusses das bisschen Gehör, das ihm geblieben war, auch noch zerstört hatte. Zugleich spürte er eine warme Brise, die nach Honig duftete. Sie fuhr ihm durch das struppige weiße Haar und in den Körper, wobei sie in seinen Knochen uralte Erinnerungen weckte.
Wunderbarerweise schwoll seine Nase noch mehr an. Auch seine Hände wurden größer, ebenso seine Füße. Die Haut am ganzen Körper dehnte sich. Die Wollweste, die sich so lange um seine Brust gebauscht hatte, weil sie zu groß war, wurde eng –, dann zerriss sie zu Fetzen.
Ungläubig rieb sich Shim mit den schwellenden Händen die Augen. »Ich werden groß«, schrie er. »So groß wie der
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