Der Zauber von Savannah Winds
Gefühle waren in Aufruhr. Natürlich musste er sich aussprechen, er musste sich vieles von der Seele reden. Aber ganz bestimmt nicht bei Carla – und nicht heute. Er war heute viel zu verletzlich und mochte nicht einmal Fleur gegenübertreten. Mit einem tiefen Seufzer raffte er sich auf, nach seinem jungen Patienten zu schauen.
2
F leur hatte eine unruhige Nacht verbracht. Sie war durch die Wohnung gestreift, unfähig, sich auf etwas zu konzentrieren. Schließlich war sie kurz vor dem Morgengrauen auf der Couch eingeschlafen. Beim Aufwachen stellte sie fest, dass es schon nach neun war.
Völlig verschlafen brauchte sie eine Weile, bis sie merkte, wo sie war, und bis sie sich an die schrecklichen Ereignisse des Vortags erinnerte. Sie taumelte ins Bad, duschte ausgiebig und zog die Kleidung an, die gerade greifbar war. Warum hatte Greg nicht angerufen – und wo steckte er überhaupt? Da fiel ihr Blick auf das Telefon, das sie vom Netz getrennt hatte, und sie beeilte sich, es wieder einzustecken und nach ihrem Handy zu suchen.
Darauf waren zwei Kurznachrichten von Greg: Er sei zu einem Notfall gerufen worden und habe sich entschlossen, im Krankenhaus zu übernachten. Falls sie ihn sprechen wolle, könne sie seine Sekretärin anrufen – sein Handy sei ausgeschaltet, da er am Sonntag einen langen Tag in der Chirurgie habe und wahrscheinlich wieder im Krankenhaus schlafen werde. Keine Entschuldigung, keine Frage nach ihrem Befinden und nicht einmal ein Hinweis, ob er vorhatte, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Ganz offensichtlich ging er ihr aus dem Weg, und das konnte Fleur ihm nicht verzeihen. Es war feige und egoistisch, und sie fragte sich, wie um alles in der Welt sie sich nur in diesen Mann hatte verlieben können – und warum sie trotz allem noch immer so für ihn empfand.
Sie widerstand der Versuchung, ihn zurückzurufen, legte ihr Handy auf die Anrichte in der Küche und leerte den Briefkasten. Nachdem sie sich einen Becher starken schwarzen Kaffee gemacht hatte, ging sie auf die Terrasse, setzte sich unter den Sonnenschirm und sah die Post durch.
Unter der Werbung waren die üblichen Wurfsendungen von Pizzerien und Angebote eines neuen Fitnessstudios. Das Monatsblatt des Architektenverbandes blätterte sie rasch bis zu den Stellenanzeigen durch. Vier interessante Offerten umkringelte sie. Noch heute würde sie ihre Bewerbungen schreiben. Wenn sie erst einen Job hätte, bliebe ihr wenigstens keine Zeit mehr zum Grübeln.
Dann legte sie die Zeitschrift beiseite und beäugte einen ziemlich bedeutsam aussehenden Pergamentumschlag, der mit dem Logo einer Anwaltskanzlei aus Sydney geprägt war. Sie öffnete ihn, und beim Lesen der Nachricht legte Fleurs Stirn sich in Falten.
Verehrte Mrs. Mackenzie,
leider muss ich Ihnen mitteilen, dass Mrs. Ann (Annie) Somerville verstorben ist, die seit vielen Jahren eine hochgeachtete Mandantin unserer Kanzlei war. Ihrem ausdrücklichen Wunsch entsprechend wurde ich befugt, ihren Letzten Willen zu erfüllen und ihr Testament zu eröffnen.
Zu diesem Behuf habe ich Sie darüber in Kenntnis zu setzen, dass Sie die Haupterbin ihres beträchtlichen Vermögens sind, und daher ist es unumgänglich, dass wir uns über die Modalitäten und die Konsequenzen des Vermächtnisses unterhalten.
Am Dienstag, den 15. Januar, werde ich in Brisbane sein und im Hilton International an einer Konferenz teilnehmen. Ich schlage vor, dass wir uns dort um 16 Uhr im Foyer treffen. Ich habe einen Büroraum im Hotel angemietet, sodass wir ungestört reden können. Sollte Ihnen diese Regelung nicht zusagen, rufen Sie bitte meine Sekretärin an, die mit Ihnen einen neuen Termin vereinbaren wird.
Ich möchte Ihnen mein herzliches Beileid aussprechen und werde stets zu Ihren Diensten sein.
Hochachtungsvoll,
Ms. Jacintha Wright
»Du lieber Himmel!« Fleur starrte auf das Schreiben, das sie eher für einen Schwindel hielt. Wie hoch war »beträchtlich«? Sie dachte sich eine Zahl aus, zog sie in Zweifel, verdreifachte sie – ihre Phantasie ging mit ihr durch, und ihr Puls raste.
Dann traf die Erkenntnis sie wie ein Schlag, und sie legte den Brief langsam auf den Tisch. Das musste ein Scherz sein. Von einer Annie Somerville hatte sie noch nie gehört. Warum also sollte diese Frau ihr etwas hinterlassen? Das war wieder einer von den Briefen, die ein Vermögen versprachen und sich schließlich als ein Schwindel aus Amerika oder Osteuropa entpuppten.
Aber bei einer nochmaligen
Weitere Kostenlose Bücher