Der Zauber von Savannah Winds
»Und du? Was hat dich auf diese Straße des Verderbens geführt?«
»Auch ich wollte etwas verbessern.« Greg drehte den Stuhl und starrte aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. Er wollte nicht über seine Gründe sprechen.
»Das hast du doch.« John legte die Beine auf Gregs Schreibtisch übereinander und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Stimmt es, dass du in eine Wohnanlage am gegenüberliegenden Flussufer gezogen bist?«
Greg lächelte schief. »So was spricht sich schnell rum, nicht wahr? Ich bin erst vor zwei Tagen eingezogen.«
»Was ist mit Fleur? Ich hätte darauf gewettet, dass ihr beide zusammenbleibt.«
»Der Schein kann trügen, John.« Greg richtete sich auf und schob die Akten auf seinem Schreibtisch hin und her. »Wolltest du etwas Besonderes? Ich habe nämlich in einer halben Stunde einen missgebildeten Fuß zu operieren.«
»Hab nur gedacht, ich schau mal rein, ob du Gesellschaft brauchst. Oft hilft es, wenn man einen Kumpel zum Reden hat, wenn es gerade bergab geht – und du weißt, dass alles, was du sagst, unter uns bleibt.«
»Danke. Das weiß ich zu schätzen, aber … «
»Ich verstehe nur zu gut, wie schwer es ist, wenn man jemanden auf dem OP -Tisch verliert. Obwohl man uns einbläut, niemals Arbeit mit nach Hause zu nehmen und uns in keinem Fall so zu engagieren, dass alles in Mitleidenschaft gezogen wird, was wir tun, ist das manchmal einfach nicht möglich.«
»Ich weiß«, sagte Greg kurz angebunden, »und ich komme damit klar.«
»Das glaube ich nicht, Kumpel. Du hast dich von Fleur getrennt, kurz nachdem du Shane verloren hattest, und das spricht Bände. Hast du darüber nachgedacht, dir professionelle Hilfe zu holen?«
»Ich brauche keinen Seelenklempner, der mich mit Psychokram zulabert.«
»Die leisten sehr gute Arbeit«, betonte John. Er stellte die Füße wieder auf den Boden und beugte sich vor. »Die Geschäftsführung des Krankenhauses ermutigt das Personal, sich beraten zu lassen. Man muss sich nicht schämen, wenn man Hilfe sucht. Es wirft weder einen Makel auf dich, noch beeinträchtigt es deine Karriere, falls dir das Sorgen macht. Ich bin auch schon bei der entzückenden Carla gewesen – nachdem ich vor zwei Jahren eine Mutter und ihr Kind verloren habe. Das war eine enorme Hilfe.«
»Das wusste ich gar nicht.« Greg betrachtete seinen Kollegen und Freund und sah ihn plötzlich in anderem Licht. Er hatte immer gedacht, John habe alles unter Kontrolle, sei der Inbegriff eines ruhigen, tüchtigen Arztes – aber anscheinend hatte auch er seine Dämonen.
John zuckte mit den Schultern. »Wir alle brauchen manchmal Hilfe«, sagte er schroff, »und ich rate dir, such Carla auf – oder jemanden aus ihrem Mitarbeiterstab.«
Greg wurde unbehaglich zumute. »Hat jemand etwas gesagt? Bist du deshalb hier?«
»Es ist aufgefallen, dass du gegenüber dem OP -Team einen ziemlich scharfen Ton anschlägst und nicht mehr so heiter bist wie sonst. Ich weiß, du bist erschöpft – das sind wir alle – , aber ich glaube, bei dir geht es tiefer. Nimm den Rat eines alten Mannes an, der zu oft mit angesehen hat, wie sich gute Chirurgen überfordern. Ruf Carla an! Und zwar bald.«
Greg wich Johns Blick aus. »Ich denk drüber nach.«
John nickte, warf die leere Safttüte in den Abfalleimer und ging zur Tür. »Mach das, Kumpel! Bis später.«
Greg sackte auf dem Stuhl zusammen, als die Tür hinter John ins Schloss fiel. Der Rat, professionelle Hilfe aufzusuchen, spiegelte die Überlegung wider, die ihm seit dem Abend im Kopf herumschwirrte, an dem er das Apartment und seine Ehe aufgegeben hatte. Fleur fehlte ihm entsetzlich, aber er hatte ihre Anrufe absichtlich abgeblockt und nicht einmal auf ihre zahlreichen SMS geantwortet. Er war ein Feigling – ein grausamer, gemeiner Feigling, der ebenso wie sein Vater schreckliche Verletzungen zufügen konnte. John hatte recht. Er musste etwas unternehmen.
Aufgewühlt betrachtete Greg das Telefon. Er war versucht, Fleur anzurufen, ihrer Stimme auf dem Anrufbeantworter zu lauschen – aber was wäre, wenn sie abhob? Er hatte ihr nichts Neues zu sagen – ihr nichts anzubieten außer diesem furchtbaren Kummer, weil er ihre Liebe und ihre Ehe verhöhnt hatte.
Der Gedanke, die Ängste, Erinnerungen und Nachwirkungen seiner grausamen Kindheit einer Fremden zu offenbaren, war Greg zuwider. Aber es musste sein, wenn er Fleur jemals zurückgewinnen und den Schaden, den er angerichtet hatte, beheben wollte.
Nach einigem Zögern
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