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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Joachim, wie gesagt, trat freudig – ja, für den Augenblick unzweifelhaft freudig erregt bei Hans Castorp ein oder vielmehr aus dem Zimmer, das er im Geschwindschritt durchmessen, auf den Balkon hinaus und grüßte lachend, rasch atmend, gedämpft und abgerissen. Er hatte die weite Reise, durch mehrerer Herren Länder, über den meerartigen See und dann auf gedrangen Pfaden hoch – hoch herauf wieder zurückgelegt, und da stand er nun, als sei er nie weggewesen, von seinem aus der Horizontale halb aufgefahrenen Verwandten mit Hallos und Nanus empfangen. Seine Farbe war lebhaft, sei es dank dem Freiluftleben, das er geführt, oder durch Reiseerhitzung. Direkt, ohne sein Zimmer erst zu betreten, war er auf Nr. 34 geeilt, um den Genossen alter Tage, die nun wieder Gegenwart wurden, zu begrüßen, während seine Mutter mit ihrer Toilette beschäftigt war. Man wollte zu Abend essen in zehn Minuten, natürlich im Restaurant. Hans Castorp würde schon noch etwas mitessen können oder doch einen Schluck Wein trinken. Und Joachim zog ihn hinüber auf Nr. 28, wo es ging, wie einst am Abend von Hansens Ankunft, nur umgekehrt: Joachim, fiebrig plaudernd, wusch sich am blitzenden Becken die Hände, und Hans Castorp sah ihm zu, – erstaunt übrigens und gewissermaßen enttäuscht, den Vetter in Zivil zu sehen. Man merke ihm von seiner Karriere ja gar nichts an. Er habe ihn sich immer als Offizier, in Uniform vorgestellt, und nun stehe er da in grauem Uni, wie irgend jemand. Joachim lachte und fand ihn naiv. Ach nein, die Uniform habe er hübsch zu Hause gelassen. Mit der Uniform, müsse Hans Castorp wissen, habe es was auf sich. Nicht jedes {758} Lokal besuche man in Uniform. »Ach so. Danke gehorsamst«, sagte Hans Castorp. Aber Joachim schien sich keines beleidigenden Sinnes seiner Erklärung bewußt zu sein, sondern erkundigte sich nach allen Personen und Umständen im »Berghof« nicht nur ohne jeden Hochmut, sondern mit der ganzen angelegentlichen Bewegtheit des Heimgekehrten. Dann erschien Frau Ziemßen durch die Verbindungstür, begrüßte den Neffen in der Form, die manche Leute bei solchen Gelegenheiten wählen, nämlich als sei sie freudig überrascht, ihn hier zu treffen, ein Ausdruck, der übrigens durch Abgespanntheit und stillen Kummer, welcher sich offenbar auf Joachim bezog, melancholisch gedämpft wurde, – und sie fuhren hinunter.
    Luise Ziemßen hatte dieselben schönen, schwarzen und sanften Augen wie Joachim. Ihr ebenfalls schwarzes, mit Weiß aber schon stark vermischtes Haar war durch ein fast unsichtbares Schleiernetz in Form und Sitz befestigt, und das paßte zu ihrer Wesenshaltung überhaupt, die besonnen, freundlich gemessen und sanft zusammengenommen war und ihr bei deutlicher Geistesschlichtheit eine angenehme Würde verlieh. Es war klar, und Hans Castorp wunderte sich auch nicht darüber, daß sie sich auf Joachims Lustigkeit, auf den raschen Gang seiner Atmung und seiner sich überstürzenden Rede, Erscheinungen, die zu seinem Verhalten zu Hause und auf der Reise wahrscheinlich in Widerspruch standen und tatsächlich seiner Lage widersprachen, nicht verstand und gewissermaßen Anstoß daran nahm. Dieser Einzug erschien ihr traurig, und sie glaubte sich dementsprechend halten zu sollen. In die Empfindungen Joachims, turbulente Empfindungen der Heimkehr, die im Augenblick alles Entgegenstehende trunken überwogen und durch das Wiederatmen der Luft, unserer unvergleichlich leichten, nichtigen und erhitzenden Luft hier oben, wohl noch befeuert wurden, konnte sie sich nicht finden, sie waren ihr undurchsichtig. »Mein armer Junge«, dachte sie, und {759} dabei sah sie den armen Jungen sich mit seinem Vetter einer ausgelassenen Fröhlichkeit hingeben, hundert Erinnerungen auffrischen, hundert Fragen stellen und sich mit der Antwort lachend in den Stuhl zurückwerfen. Mehrmals sagte sie: »Aber, Kinder!« Und was sie schließlich sagte, sollte erfreut kommen, kam aber mit Befremdung und leisem Tadel: »Joachim, wahrhaftig, so habe ich dich lange nicht gesehen. Es scheint, wir müßten hierher fahren, damit du wieder wärest wie am Tag deiner Beförderung.« Worauf es denn freilich mit Joachims Lustigkeit zu Ende war. Seine Stimmung schlug um, er kam zur Besinnung, schwieg, aß nichts vom Nachtisch, obgleich es ein überaus leckeres Schokolade-Soufflé mit Schlagrahm war, das erschien, (Hans Castorp hielt sich statt seiner daran, obgleich seit Abschluß des übergewaltigen Diners erst eine Stunde

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