Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Familie drei Zimmer belegt. Ich kann ihn nicht rausgraulen, ich kriege es mit der Generaldirektion zu tun. Da sehen Sie, in was für Konflikte man jeden Augenblick gerät, und wenn man auch noch so gern still und unbefleckt seines Weges ziehen möchte.«
    {755} »Dumme Geschichte«, sagte Hans Castorp mit der Einsicht des Intimen und Altsassen. »Ich kenne die Herren. Schmitz ist kolossal korrekt und strebsam und Rosenheim reichlich salopp. Vielleicht bestehen aber auch noch andere, als hygienische, Reibungsflächen, ich möchte es glauben. Schmitz und Rosenheim sind beide befreundet mit Doña Perez aus Barcelona, vom Tisch der Kleefeld, das wird es im Grunde wohl sein. Ich würde vorschlagen, das betreffende Verbot vielleicht allgemein wieder in Erinnerung zu bringen und übrigens ein Auge zuzudrücken.«
    »Natürlich drücke ich. Ich kriege ja schon Blepharospasmus vor lauter Augenzudrücken. Was treten Sie hier denn an?«
    Und Hans Castorp rückte heraus mit seiner traurigen und auch wieder famosen Neuigkeit.
    Nicht, daß der Hofrat überrascht gewesen wäre. Er wäre es auf keinen Fall gewesen, war es aber besonders nicht, weil Hans Castorp ihn, gefragt oder ungefragt, über Joachims Ergehen auf dem laufenden gehalten und schon im Mai Bettlägerigkeit signalisiert hatte.
    »Aha«, machte Behrens. »Na also. Und was habe ich Ihnen gesagt? Was habe ich ihm und Ihnen nicht zehn-, sondern hundertmal wörtlich gesagt? Da haben Sie’s nun. Dreiviertel Jahr lang hat er seinen Willen und sein Himmelreich gehabt. Aber ein nicht restlos entgiftetes Himmelreich, dabei ist kein Segen, das hat der Ausbrecher dem ollen Behrens nicht glauben wollen. Man soll aber immer dem ollen Behrens glauben, sonst zieht man den kürzeren und kommt zu spät zu Verstand. Da hat er es nun zum Leutnant gebracht, allerdings, nichts zu sagen. Was hat er davon? Gott sieht ins Herze, der sieht nicht auf Rang und Stand, vor dem stehen wir alle in unsrer Blöße, ob General oder gemeiner Mann …« Er geriet ins Kohlen, rieb sich mit der riesigen Hand, zwischen deren Fingern er die Zigarre hielt, die Augen und sagte, nun solle Hans Castorp ihm aber für {756} diesmal nicht länger lästig fallen. Eine Bude für Ziemßen sei ja wohl faßbar, und wenn er komme, solle sein Vetter ihn ohne Verzug ins Bett stecken. Ihn, Behrens, betreffend, so trage er keinem was nach, er halte die Arme väterlich geöffnet und sei bereit, ein Kalb für den Ausreißer zu schlachten.
    Hans Castorp telegraphierte. Er erzählte nach rechts und links, daß sein Vetter wiederkomme, und alle, die Joachim kannten, waren betrübt und erfreut, und zwar beides aufrichtig, denn Joachims properes, ritterliches Wesen hatte die allgemeine Zuneigung gewonnen, und manches unausgesprochene Urteil und Gefühl ging in der Richtung, daß er der Beste gewesen sei von allen hier oben. Wir haben niemanden persönlich im Auge, glauben aber an eine gewisse Genugtuung, die mancher darüber empfand, daß Joachim aus dem Soldatenstande zur horizontalen Lebensweise zurückkehren mußte und in seiner Properkeit nun wieder einer der Unsrigen sein würde. Frau Stöhr, bekanntlich, hatte sich gleich das ihre gedacht; sie fand sich bestätigt in dem ordinären Zweifelsinn, mit dem sie Joachims Aufbruch ins Flachland begleitet hatte, und verschmähte nicht, sich seiner zu rühmen. »Faul, faul«, machte sie. Sie habe die Sache sogleich als faul erkannt und wolle nur hoffen, daß Ziemßen sie nicht oberfaul gemacht habe mit seinem Eigensinn. (»Oberfaul« sagte sie vor lauter unermeßlicher Gewöhnlichkeit.) Da sei es denn doch viel besser, man bleibe gleich bei der Stange, wie sie, die auch ihre Lebensinteressen im Flachlande, nämlich in Cannstadt, habe, einen Mann und zwei Kinder, sich jedoch zu beherrschen wisse … Es kam gar keine Rückäußerung mehr von Joachim oder Frau Ziemßen. Hans Castorp blieb unwissend über Tag und Stunde ihrer Ankunft; zu einem Empfang am Bahnhof kam es aus diesem Grunde nicht, sondern drei Tage nach Absendung von Hansens Depesche waren sie einfach da, und Leutnant Joachim trat mit erregtem Lachen an seines Vetters Dienstlager.
    {757} Es war nach begonnener Abendliegekur. Derselbe Zug hatte sie hergebracht, mit dem Hans Castorp vor Jahren, die weder kurz noch lang, sondern ohne Zeit, in hohem Grade erlebnisreich und dennoch null und nichtig gewesen waren, hier oben eingetroffen war, und auch die Jahreszeit war dieselbe, sogar genau: der allerersten Augusttage einer.

Weitere Kostenlose Bücher