Der Zauberberg
Kasimir Japoll beabsichtigt, hiesigen Ort am nächsten Tage zu verlassen,
und hat am 2. April 19.. zwischen 7½–¾h abends in Gegenwart seiner Gemahlin Jadwiga und der Herren Michael Lodygowski und Ignaz von Mellin Herrn Kasimir Japoll, der in Gesellschaft des Herrn Janusz Teofil Lenart und zweier unbekannter Mädchen in der American Bar hiesigen Kurhauses bei alkoholischen Getränken saß, mehrfach geohrfeigt.
Unmittelbar darauf hat Herr Michael Lodygowski Herrn {1043} Kasimir Japoll geohrfeigt, indem er hinzufügte, daß dies für die dem Fräulein Krylow und ihm zugefügten schweren Beleidigungen sei.
Sofort danach ohrfeigte Herr Michael Lodygowski Herrn Janusz Teofil Lenart für das Herrn und Frau von Zutawski zugefügte unqualifizierbare Unrecht, worauf noch,
ohne einen Augenblick zu verlieren, auch Herr Stanislaus von Zutawski Herrn Janusz Teofil Lenart für die verleumderische Besudelung seiner Gemahlin sowohl wie Fräulein Krylows wiederholt und mehrfach ohrfeigte.
Die Herren Kasimir Japoll und Janusz Teofil Lenart verhielten sich während dieses ganzen Vorganges völlig passiv.
(Datiert u. gezeichnet:) Michael Lodygowski, Ign. v. Mellin.«
Die inneren Umstände erlaubten Hans Castorp nicht, über dies Schnellfeuer offizieller Ohrfeigen zu lachen, wie er es sonst wohl getan haben würde. Er erbebte, indem er davon las, und der untadelige Komment der einen –, die bübische und schlaffe Ehrlosigkeit der anderen Seite, wie beides aus den Dokumenten dem Leser in die Augen sprang, erregten ihn in ihrer etwas unlebendigen, aber eindrucksvollen Gegensätzlichkeit aufs tiefste. So ging es allen. Weit und breit wurde der polnische Ehrenhandel leidenschaftlich studiert und mit zusammengebissenen Zähnen besprochen. Etwas ernüchternd wirkte ein Gegenflugblatt des Herrn Kasimir Japoll, dahingehend, dem von Zutawski sei ganz genau bekannt gewesen, daß er, Japoll, seinerzeit in Lemberg von irgendwelchen aufgeblasenen Laffen für satisfaktionsunfähig erklärt worden sei, und alle seine sofortigen und ungesäumten Schritte seien das reine Affentheater gewesen, da er von vornherein gewußt habe, daß er sich nicht werde schlagen müssen. Auch habe von Zutawski einzig und allein aus dem Grunde darauf verzichtet, ihn, Japoll, zu verklagen, weil, wie jedermann und er selbst ebenfalls recht gut wisse, seine Gemahlin Jadwiga ihn mit einer ganzen Geweih {1044} sammlung versehen habe, wofür er, Japoll, spielend den Wahrheitsbeweis hätte erbringen können, wie denn auch mit der allgemeinen Aufführung der Krylow vor Gericht wenig Ehre einzulegen gewesen wäre. Übrigens sei nur seine eigene, Japolls, Satisfaktionsunfähigkeit erhärtet, nicht auch bereits die seines Gesprächspartners Lenart, und von Zutawski habe sich hinter die erstere verschanzt, um keine Gefahr zu laufen. Von der Rolle, die Herr Asarapetian in der ganzen Sache gespielt habe, wolle er nicht reden. Was aber den Auftritt in der Kurhaus-Bar betreffe, so sei er, Japoll, ein wenn auch mundscharfer und zum Witz geneigter, so doch äußerst schwächlicher Mensch; von Zutawski habe sich mit seinen Freunden und der ungewöhnlich kräftigen Zutawska in physischer Überlegenheit befunden, zumal die beiden Dämchen, die sich in seiner, Japolls, und Lenarts Gesellschaft befunden, zwar lustige Geschöpfe, aber schreckhaft wie die Hühner gewesen seien; und so habe er, um eine wüste Schlägerei und öffentlichen Skandal zu vermeiden, Lenart, der sich habe zur Wehr setzen wollen, veranlaßt, sich ruhig zu verhalten und die flüchtigen gesellschaftlichen Berührungen der Herren von Zutawski und Lodygowski in Gottes Namen zu dulden, die nicht weh getan hätten und von den Umsitzenden als freundschaftliche Neckerei aufgefaßt worden seien.
So Japoll, für den natürlich nicht viel zu retten war. Seine Korrekturen vermochten den schönen Kontrast von Ehre und Misere, wie er aus den Feststellungen der Gegenseite hervorging, nur oberflächlich zu stören, zumal er nicht über die Vervielfältigungstechnik der Zutawskischen Partei verfügte, sondern nur ein paar Maschinendurchschläge seiner Replik unter die Leute zu bringen wußte. Jene Protokolle dagegen, wie gesagt, erhielt jedermann, auch völlig Fernstehende erhielten sie. Naphta und Settembrini z.B. hatten sie ebenfalls zugestellt bekommen, – Hans Castorp sah sie in ihren Händen, und zu {1045} seiner Überraschung bemerkte er, daß auch sie mit verbissenen und sonderbar hingerissenen Mienen darauf
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