Der Zauberspiegel
kennengelernt hätten …« Aran wirkte schuldbewusst. Er blickte ihr ins Gesicht. Seine dunklen Augen glänzten feucht. Sie fühlte eine tiefe Trauer in sich.
Unversehens beugte er sich vor. Er roch nach Sonne und Wiese und Rauch. Sacht küsste er sie auf die Stirn.
In diesem Moment spürte sie das machtvolle Summen und Vibrieren der silbernen Schnur. Für den Bruchteil eines Augenblicks streiften sich ihre Seelen auf eine Art, wie es nur jenen beschieden war, die füreinander bestimmt waren. »Spürst du das auch?«, fragte sie, kaum fähig zu sprechen. »Etwas Besonderes verbindet uns.« Sie hob ihre Hand und berührte seine Wange. Seine Haut war warm, weich und doch straff. Aran verharrte reglos und Zärtlichkeit lag in seinen Zügen, ein Ausdruck, der Juliane so kostbar erschien, dass sie ihn in ihren Erinnerungen aufbewahren wollte.
»Eine alte Legende der Morvannen erzählt von einer silbernen Schnur, die Seelenzwillinge miteinander verbindet«, flüsterte Aran und starrte sie an, als sähe er sie das erste Mal. Als nähme er sie plötzlich auf besondere Weise wahr.
Ja, das waren sie. Auf eine seltsame Art fühlte sie sich als Teil von ihm.
Aran legte seine Arme um sie und zog sie an sich. Wohlige Schauder rieselten über ihren Rücken. Sie drückte ihr Gesicht an den rauen Stoff seines Hemdes und sog den vertrauten Geruch ein. Erst nach einer Weile hob sie den Blick und sah in seine dunklen Augen.
*
Eben noch summte und schwang das silberne Band zwischen ihnen. Es verband ihre Herzen und Seelen und schenkte Aran Geborgenheit und Frieden. Doch plötzlich verschwand das Band und Ernüchterung erfasste ihn. Was tat er hier? Er wollte Juliane auf Abstand halten!
Er versuchte, sich aus der Umarmung zu lösen, doch aus irgendeinem Grund hatte er Angst, sie loszulassen. Stattdessen drückte er sie noch fester an sich. Sog ihren Duft ein und ließ die Berührung ihres Haars an seiner Wange auf sich wirken. »Juliane, wir können nicht zusammen sein«, murmelte er schließlich.
Sie sah ihn verständnislos an. »Weshalb? Fühlst du denn nicht dasselbe wie ich?«
Aran gab ihr darauf keine Antwort. Jeder Erklärungsversuch hätte nur Kraft gekostet, die er nicht aufbringen konnte. »Ich bin verflucht. Jeder, der mir nahe stand, starb. Ich würde es nicht ertragen, auch dich zu verlieren.«
»Es gibt keine Flüche. Jeder Fluch scheitert an der Liebe«, flüsterte sie.
Aran schüttelte den Kopf. »Dieser nicht. Er besiegt sogar die Liebe. Wer mich liebt, wird sterben. Halte dich von mir fern.«
Widerwillig ließ sie zu, dass er sich aus ihrer Umarmung löste. Panik strömte aus jeder seiner Poren. Er war von der Existenz und Macht des Fluches nicht nur überzeugt, er kannte sie.
Er stand auf und blickte auf Juliane herunter. In ihren Augen schwammen Schmerz und Sehnsucht. Ihr Blick traf ihn bis ins Mark, und er fühlte einen eisigen Klumpen in seinem Magen anwachsen.
Sei vernünftig! Du musst sie beschützen.
*
Juliane erhob sich. »Aran«, flüsterte sie sanft und nahm seine Hand. »Was ich für dich empfinde, habe ich noch nie für jemanden gefühlt.«
Sie blickte in seine Augen und erkannte darin so viel Liebe, Schmerz und Angst, dass sie bis in ihr Innerstes berührt war. Plötzlich begriff Juliane, dass Aran sie mehr liebte als irgendeinen anderen Menschen auf der Welt. Ja, sogar mehr als sein eigenes Leben, und dass er den eigenen Schmerz und seine Einsamkeit wählte, um sie vor diesem vermeintlichen Fluch zu schützen.
Gequält riss er seine Hand los und wandte sich ab. Sie war sich sicher, er wollte sie ebenso sehr wie sie ihn.
»Ich kann nicht!« Aran drehte sich um und ließ sie allein am Bach zurück. Mal wieder.
Sie beobachtete reglos, wie er in einem der kleinen Gästehäuser verschwand. Sie musste an ihn herankommen. Ihn retten. Bei ihm sein. Sie lächelte, als ihr eine Idee kam. Zufrieden schlenderte sie in ihre Unterbringung zurück. Vielleicht benötigte sie Hilfe, um ihre Fähigkeiten im Schwertkampf zu verbessern.
*
Kalira stand am Fenster und betrachtete die dunkelhäutigen Kinder beim Spielen.
Das verhängnisvolle Scharmützel mit den Todesreitern lag einige Tage zurück. Noch immer befand sich Ranon in tiefster Bewusstlosigkeit, in die er nach dem kurzen Erwachen gefallen war. Sein Zustand hatte sich nicht verändert. Kalira saß während dieser Zeit bei ihm, so oft Talna es erlaubte, redete zu ihm, als könnte er sie hören und hielt seine
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