Der Zauberspiegel
Galerie.
Als Kalira am nächsten Vormittag in die Küche hinunterging, fand sie Talna mit besorgter Miene und eilig herumhantierend bei Ranon vor. Panik ergriff sie. »Was ist mit ihm?« Sie biss sich auf die Lippen und unterdrückte ein ängstliches Schluchzen.
»Es geht ihm schlechter. Sein Körper wehrt sich gegen die magische Heilung«, berichtete Talna mit bekümmertem Blick.
Kalira trat ans Bett und ergriff Ranons unruhig zuckende Hand. Er warf seinen Kopf hin und her und trat mit den Beinen um sich. Obwohl sein Körper glühte, war seine Haut von einer ungesunden, grauen Färbung überzogen.
Talna tränkte ein Bettlaken mit einer unangenehm riechenden Flüssigkeit und zog dem Kranken mit Kaliras Hilfe das Hemd aus. Sie wickelten ihn in das Laken.
»Was ist das?«, fragte Kalira, als sie der Geruch zum Niesen brachte.
»Lehrab, die ich in der Nacht der Guten Geister pflückte. Eine starke Medizin. Wenn dies das Fieber nicht senkt, kann auch ich nichts mehr tun.«
Sie bemühten sich seit Stunden darum, das Fieber zu senken, doch Ranons Gesundheitszustand verschlimmerte sich. Auch die anderen, die besorgt vorbeigesehen hatten, hatten nichts für ihn tun können. Die Krämpfe wurden stärker und er fantasierte von einem hellen Licht, bis er schließlich verstummte und keine anderen Lebenszeichen als Zittern und Beben von sich gab.
Kalira packte ihn in ihrer Verzweiflung bei den Schultern und schüttelte ihn. »Ranon, bitte, du darfst nicht sterben!«
Talna hielt sie zurück. »Nicht, du bereitest ihm Schmerzen.« Ihre Hände lagen auf ihren Armen und ihr Blick war voll Mitgefühl.
»Er darf mich nicht verlassen! Was soll ich denn ohne ihn machen?«, schluchzte sie und Verzweiflung drohte sie zu übermannen. Sie vergrub ihren Kopf an Ranons Schulter und weinte leise.
Sie wusste nicht, wie lange sie so dasaß, als die Heilerin sie an der Schulter berührte.
»Kalira, sieh nur.«
Sie sah auf. Das Zucken ließ nach. Ranon regte sich, kam zu Bewusstsein. Er schlug die zittrigen Lider auf und sah sie aus trüben Augen an.
»Kalira«, flüsterte er, bevor er wieder in Ohnmacht fiel.
*
Juliane öffnete leise die Tür des Gästehauses und trat ins Freie.
Die Nacht brach über das Land herein und verbreitete jene Dunkelheit, die die Urängste der Menschen weckte, doch denen, die sie suchten, Trost und Geborgenheit spendete.
Nachdem sie keinen Schlaf gefunden hatte, weil sie sich so sehr um Ranon sorgte und Torus vermisste, hatte sie sich wieder angekleidet, um frische Luft zu schnappen. Am Bach, der sich am Dorf vorbeischlängelte, saß eine dunkle Gestalt.
»Hallo Aran.«
Er blickte auf. »Juliane.«
Täuschte sie sich oder glitzerten in seinen Augen Tränen? »Ich habe nicht erwartet, jemanden hier draußen anzutreffen«, meinte sie und setzte sich zu Aran ins Gras.
»Heute ist es neun Jahre her«, sagte er mit gequältem Gesichtsausdruck.
»Was ist damals geschehen?«, fragte sie behutsam. Instinktiv ahnte sie, dass er im Begriff war, ihr etwas Bedeutungsvolles zu erzählen.
»Es war früher Morgen, als Vater zum ersten Mal in weiter Ferne die Soldaten bemerkte. Gegen Mittag erreichten die Todesreiter unseren Hof. Sie brannten das Haus einfach nieder und ermordeten meine Eltern brutal. Meine Schwester kam in den Flammen um. Ich habe sie nicht gerettet.« Er ballte die Hände zu Fäusten. Sein Blick richtete sich verloren in die Ferne.
Über ihre Lippen kam ein entsetzter Laut. Der Gedanke an das Grauen, das er gesehen haben musste, machte sie sprachlos. Wie alt war er damals? Acht, höchstens zehn Jahre?
»Ich hatte mich feige im Gebüsch versteckt und musste beobachten, wie meine Eltern eines qualvollen Todes starben. Ich war wie versteinert. Ich konnte nichts tun, nichts, außer dabei zuzusehen. Niemals werde ich das vergessen. Den Geruch, ihre verstümmelten Körper und das Blut, das viele Blut!« Aran rang sichtlich nach Fassung.
Sie ergriff seine Hand und er drückte sie so fest, dass sie sich einen leisen Schmerzenslaut verkneifen musste. »Du warst ein Kind, du konntest nichts tun, um es zu verhindern.«
»Ich hätte mit ihnen sterben müssen«, krächzte er gequält auf.
»Nein, Aran«, flüsterte sie und ihr Herz zog sich voll Mitgefühl zusammen.
»An jenem Tag ist alles in mir gestorben, nur noch Hass und Zorn und Rache sind mir geblieben.«
»Jetzt hast du Freunde. Du musst nie mehr einsam sein.« Sie legte ihre freie Hand auf seine.
»Wenn wir beide uns früher
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