Der Zauberspiegel
Hand.
Juliane und Aran hatten jeden Tag vorbeigesehen, manchmal einzeln und gelegentlich zusammen. Kalira war über ihre Besuche dankbar, sie gaben ihr das Gefühl, nicht allein zu sein. Ein leises Stöhnen riss sie aus ihren Gedanken.
Sie trat ans Bett und ergriff Ranons Hände. Es wirkte nicht so, als würde er jemals wieder zu sich kommen. Ihr Herz schmerzte, wie so oft in den letzten Tagen. »Ich bin da, Liebster.«
Mit Erstaunen bemerkte sie, dass seine Augenlider flatterten. Sein Brustkorb hob und senkte sich schneller. Kalira beugte sich vor und musterte ihn aufmerksam, versuchte, jede Veränderung, so klein sie auch sein mochte, nicht zu verpassen. Seine Hände erwiderten ihren Händedruck und über seine farblosen Lippen kam ein Wort, ein Name.
»Kalira.« Seine Augen öffneten sich langsam.
Kalira weinte vor Erleichterung und Freude.
»Nicht weinen«, sagte Ranon mit schwacher Stimme. Er hob seine Hand und wischte ihre Tränen unbeholfen fort. »Ich dachte, du wärst froh, wenn ich tot wäre.«
»Ich war dumm und hochmütig und habe nicht verdient, dass du mir verzeihst«, erklärte sie schniefend.
»Ich liebe dich«, flüsterte er.
Mehr Worte waren nicht nötig. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, zog sie sanft zu sich hinunter und küsste sie.
»Wo ist Torus?« Als sie nicht sofort antwortete und stattdessen auf ihre Finger starrte, schloss er kurz die Lider. »Er ist tot, nicht wahr?«
Überrascht sah sie auf. »Ja.«
»Ich habe ihn gesehen. Ich fühlte mich bereit, auf die andere Seite überzuwechseln. Torus erschien, um mich zu begleiten. Er sagte, er wollte mich an einen anderen Ort führen. Einen Platz, herrlicher als alles, was ich mir vorstellen könnte. Doch da hörte ich deine Stimme aus weiter Entfernung und ich wusste, dass ich nicht gehen wollte. In dem Moment, in dem ich das dachte, wurde ich rasend schnell in meinen Körper zurückgeworfen.«
Kalira umarmte ihn, das Herz so übervoll an Emotionen, dass sie sich unfähig glaubte, vernünftige Worte zu artikulieren. Erschrocken zuckte sie zurück, als Talna die Tür aufriss. Sie stürmte herein, und als sie Ranon im Bett sitzen sah, blieb sie abrupt stehen.
»Wie fühlst du dich?«, fragte die Heilerin und begann, ihn zu untersuchen.
»Ein bisschen schwach. Und ich habe kein Gefühl in meiner Schulter.« Ranon hob seine Hand und berührte seine Schulter wie zur Verdeutlichung seiner Worte.
»Das ist eine Folge des Heilzaubers. Du wirst sehen, in ein paar Tagen spürst du mehr als dir lieb ist. Zeit und ein paar Kräutertränke sind das Einzige, das du zur vollständigen Genesung brauchst.«
Scheinbar zufrieden wechselte sie den Verband. Dann holte sie aus ihrer Vorratskammer eine Flasche, in der sich eine braune Flüssigkeit befand.
Talna reichte Kalira die Flasche. »Diese Medizin wird ihm guttun. Sorge dafür, dass er sich ausruht und isst.«
Erneut verschwand sie in der Kammer und rumorte geraume Zeit darin herum. Sie kam mit einem Weidenkorb gefüllt mit verschiedenen Kräutern und Flaschen heraus. »Ich muss zu einer Geburt. Es dauert gewiss eine Weile, bis ich wieder zurück bin.« Damit verließ sie das Zimmer.
Kalira lächelte ihn an. Sie fühlte sich, als könnte sie die ganze Welt umarmen.
*
Juliane blickte sich suchend um, bis sie Aran bei einer Gruppe morvannischer Männer entdeckte. Sie saßen im Kreis auf dem Boden und reparierten und schliffen unterschiedlichste Gerätschaften. Sie lachten über einen Scherz, den einer von ihnen gerade von sich gegeben hatte. Aran verzog seine Lippen zu einem Lächeln. Es versetzte ihr einen Stich, weil ihn diese Geste, obwohl sie seine Augen nicht erreichte, so umwerfend attraktiv wirken ließ. Sie sehnte sich nach seinen Berührungen.
Einen weiteren Moment verharrte sie und beobachtete die Männer. Die Morvannen erinnerten sie an nordamerikanische Indianer. Sie besaßen alle lange, schwarze Haare. Ihre Körperhaltung und die dunklen Augen verrieten den Stolz, der diesem Volk innewohnte. Juliane schenkte ihre Aufmerksamkeit Aran, der sichtlich gelöst und lächelnd in der Gruppe saß. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, wie stark ausgeprägt sein morvannisches Erbe war. Nur seine hellere Haut zeugte davon, dass er kein Vollblut war.
Entschlossen trat sie zu den Männern und heftete ihren Blick auf Aran.
Er sah hoch und seine Züge verwandelten sich in milde Überraschung.
»Können wir miteinander reden? Nur wir beide?«
Aran nickte und erhob sich. Er bückte
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