Der Zauberspiegel
starrte sie verständnislos an. Juliane wusste, dass er ihre Einstellung nicht verstehen wollte. »Komm, gib mir deine Hand«, forderte Moira Juliane sanft auf.
Moira ergriff sie und schloss die Augen. Wärme kroch ihre Finger entlang und über den verletzten Arm. Überrascht stellte sie fest, dass ihre Wunde nicht mehr schmerzte, und dass auch die Blutung gestoppt war. Es hätte sie nicht gewundert, wenn sich der Schnitt geschlossen hätte, doch die Haut war immer noch von einem roten Streifen gezeichnet. Moira öffnete die Lider und riss aus dem Saum ihres Kleides einen länglichen Fetzen, mit dem sie Julianes Arm verband.
»Danke«, flüsterte sie und erhob sich vorsichtig.
»Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich möchte so schnell wie möglich von hier verschwinden«, erklärte Ranon.
Nachdem Moira sich eines der Pferde gesattelt hatte, verließen sie das Lager. Bevor Juliane hinter den anderen in das Dickicht des Waldes eintauchte, warf sie einen Blick zurück auf das Lager. Es bot ein Bild der Zerstörung. Vereinzelt stiegen Rauchfahnen aus den verkohlten Überresten der Zelte und die Körper der bewusstlosen Soldaten lagen verstreut wie welkes Laub auf der Lichtung. Fröstelnd wandte sie sich ab. Iorgen würde toben, wenn er davon erfuhr. Juliane wollte um nichts in der Welt mit den Soldaten des Lagers tauschen, wenn sie dem General von ihrem Versagen berichten mussten.
Seit der Befreiung Moiras aus ihrer Verbannung wirkte das Morvannental wie ausgestorben. Sogar die Tiere des Waldes schienen sich zu verstecken. Als sie in die Nähe des letzten Lagers der Todesreiter vor den Blauen Bergen kamen, beschloss Aran, die Soldaten auszuspionieren. Kalira, Ranon, Moira und Juliane blieben zurück und warteten ungeduldig auf seine Rückkehr.
Kalira und Ranon saßen aneinandergelehnt im Gras und flüsterten leise miteinander. Juliane lief unruhig auf und ab und beobachtete Moira verstohlen.
»Was ist los, Juliane?«, erkundigte sich Moira. Ihre hellen Augen leuchteten freundlich.
Sie erwiderte Moiras Lächeln und verspürte tief in sich den Wunsch, dass diese liebenswerte Frau ihre Mutter wäre und nicht der Zankapfel, der sie zur Welt gebracht hatte. »Kannst du, … also … ich …« Juliane wusste plötzlich nicht mehr, wie sie Moira danach fragen sollte, ihr zu helfen, ihre telepathische Begabung kontrollieren zu lernen.
»Du brauchst meine Hilfe?«
Juliane nickte.
Moira klopfte neben sich auf den Boden. »Du solltest Aran fragen.«
»Darum geht es nicht.« Juliane fühlte Hitze in ihre Wangen steigen.
»Doch, doch, darum geht es. Ich rede von deiner Gabe.«
»Oh.« Mehr brachte sie nicht hervor. Ihr Kopf fühlte sich heiß an. Ihre Wangen brannten.
In diesem Moment brach Aran durch das Unterholz und Juliane zuckte erschrocken zusammen.
»Kommt mit! Das müsst ihr euch ansehen.« Er wirkte beinahe vergnügt, als er sie zum Feldlager der Todesreiter führte.
Erstaunt standen sie am Rand des Lagers. Es war völlig verlassen. Die Soldaten schienen alles außer Waffen und Pferden zurückgelassen zu haben. Ein düsterer Ausdruck lag auf Ranons Gesicht, als er sich den anderen zuwandte.
»Ich habe ein ungutes Gefühl. Kloob erwartet den Kampf und sammelt seine Streitkräfte.«
Kalira nickte mit ernster Miene. Juliane versank in düsteres Schweigen. »Es geht weiter, nicht wahr?«, fragte sie. »Die Rebellen werden gegen die Todesreiter kämpfen.«
Ranon zögerte. »Ja, darauf wird es hinauslaufen. Kloob wird nicht zulassen, dass wir dich, Moira und die rechtmäßige Herrscherin auf unserer Seite haben. Was für einen Sinn hätte alles, wenn wir Kloob die Macht über Goryydon behalten lassen?«
»Ihr habt mich beschissen«, murmelte Juliane. Eine eisige Faust umklammerte ihr Herz. »Ich dachte, ich müsste nur Moira befreien und alles hätte ein Ende. Ihr habt mir nie gesagt, dass ich in einen Krieg ziehen soll.« Sie lachte rau. »Und überhaupt, wer wird in diesen Kampf ziehen? In den Höhlen hausen Kinder und Frauen. Ich habe nicht mehr als sechzig Personen zählen können. So viele Todesreiter beherbergt ja schon das mickrigste Lager hier im Tal!«
Kalira lenkte ihr Pferd neben sie und berührte tröstend ihre Schulter. »Wir sind viel mehr als du vermutest. Wenn sich im Reich herumspricht, dass die Auserwählte und Moira Seite an Seite gegen Kloob ziehen, wird sich das Volk erheben.«
»Wie herrlich, wir sind wie die Lemminge oder der Rattenfänger von Hameln. Ganz Goryydon
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