Der Zauberspiegel
vorgedrungen und machte sich ruhig und konzentriert am Pferdegatter zu schaffen. Auch er trug seine alte Soldatenuniform, um nicht aufzufallen.
Juliane gab Ranon das verabredete Zeichen und er und Kalira entzündeten die vorbereiteten Pfeile. Sie legten gleichzeitig an und feuerten eine ganze Salve Brandpfeile ab. Zischend zerteilten die Wurfgeschosse die Luft. Sie stießen wie Raubvögel in die Futtertröge und verwandelten das Futter innerhalb von Augenblicken in einen wild flackernden Feuerball. Andere bohrten sich in gewachste Zeltplanen, entflammten die Behausungen, die in Feuer aufgingen wie benzingetränkte Lumpen, auch das Zelt, in dem sich der Kristall mit Moira befand.
Kalira und Ranon kletterten geschwind auf die Bäume. Juliane schlich durch das Gebüsch hinaus auf die Lichtung. Sie fühlte sich steif und unbeweglich in ihrer Rüstung und der Helm behinderte sie zusätzlich. Sie stolperte und verlor fast das Gleichgewicht. Im nächsten Moment hielt jemand sie von hinten fest. Sie fuhr herum und erkannte Aran. Er ergriff ihre Hand und drückte sie.
»Ich hasse diesen Helm auch, man ist fast blind dahinter«, mokierte er sich leise. »Denk daran, bleibe so lange wie möglich in meiner Nähe.« Unter dem Helm klang seine Stimme hohl.
Die ersten Soldaten hetzten durch das Lager. Rufe schallten durch die Luft. Die Pferde wieherten und stampften panisch. Die ersten schlugen mit den Vorderläufen aus und traten gegen die Umzäunung. Mittlerweile fraß sich das Feuer wie ein gefräßiges Biest über die Holzgatter. Eines der Pferde trat gegen den Zaun und riss ihn nieder. Eine panische Woge aus Tierleibern ergoss sich über die Lichtung. Soldaten rannten den Pferden entgegen, doch die Tiere gebärdeten sich wild und waren außer Kontrolle, bäumten sich auf und stürmten in alle Richtungen davon. Einer der Todesreiter wurde von Hufen niedergetrampelt, so überraschend und schnell, dass ihm keine Zeit für Schreie blieb. Dafür erhob sich aus einem der brennenden Zelte ein entsetzliches Gebrüll. Aus dem Inneren brach ein Mann hervor, einer menschlichen Fackel gleich, taumelte, strauchelte und kreischte in den schrillsten Tönen. Niemand eilte ihm zu Hilfe. Er fiel zu Boden und wälzte sich brüllend im Gras. Momente später rührte er sich nicht mehr und verstummte.
Juliane zwang Entsetzen und Übelkeit nieder. Sie und Aran nutzten das Durcheinander, um in die Mitte des Feldlagers vorzudringen. Der Kristall überragte Aran um zwei Haupteslängen. Mehrere Todesreiter, die sich um Ordnung bemühten, trennten Aran und Juliane. In dem Chaos verlor sie ihn aus den Augen. Sie strebte allein auf den Kristall zu. Ein Mann rempelte sie an, taumelte aber weiter, ohne auf sie zu achten. Eine Rauchwolke trieb ihr Tränen in die Augen und sie hustete gegen das Kratzen in ihrem Hals. Sie öffnete das Fläschchen mit dem Zauberwasser und nutzte das Durcheinander. Sie schüttete das magische Wasser mit einer einzigen, fließenden Bewegung auf den Kristall.
Als die Flüssigkeit den Stein berührte, zerbarst er in hunderttausend Stücke. Ein heftiger Windstoß fegte über die Lichtung. Instinktiv warf sie sich in Deckung, gerade rechtzeitig, bevor der erste Kristallbrocken über sie hinweg flog.
Einer der Todesreiter wurde von einem der Geschosse getroffen. Die umstehenden Männer starrten verdattert auf Juliane und den explodierenden Kristall. Die Soldaten brachten sich vor den Steinen in Sicherheit. Diejenigen, die nicht schnell genug in Deckung gingen, wurden von der Wucht der Erschütterung von den Füßen gerissen. Andere wichen geschickt aus und machten in Juliane die Verursacherin der Explosion aus.
Panik wallte in ihr auf. Aran blieb verschwunden. Ein Teil von ihr hoffte, dass er, Kalira und Ranon sich in Sicherheit bringen konnten, dann entdeckte sie Aran, der sich zu ihr durchkämpfte, in dem fortdauernden Kristallhagel. Aus dem Unterholz sprangen Kalira und Ranon. Die Todesreiter hetzten nach wie vor ziellos über die Lichtung. Der beständige Kristallniederschlag tat sein Übriges, um das Chaos andauern zu lassen. Er ließ vermuten, dass Moira sich soeben in kleine Bruchstücke auflöste und Goryydon für immer verloren war. Alles umsonst!
Juliane blinzelte die aufsteigenden Tränen fort und zog ihr Schwert, bereit, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Ein kurzes Stechen in ihrem Magen zeigte ihr, dass die Ruhe, die sie vordergründig fühlte, nicht ihr Innerstes spiegelte, sondern eine Schutzreaktion
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