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Der zehnte Richter

Der zehnte Richter

Titel: Der zehnte Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brad Meltzer
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Boden geheftet. »Ich hab' den Brief geschrieben.«
    »Das haben Sie getan?« fragte Marcia.
    »Ich hab's ja gewußt.« Langdon setzte sich wieder. »Und warum ist Ihnen so was eingefallen?« fragte Marcia.
    »Ich kann es nicht erklären«, erwiderte Ober, ohne aufzusehen. »Ich hab' den Brief geschrieben. Jawohl. Das ist alles, was ich sagen will.«
    Langdon nahm seinen Notizblock von Marcias Schreibtisch und begann, sich Notizen zu machen. »War die Drohung ernst gemeint?« fragte er.
    »Nein. Überhaupt nicht. Der Senator ist immer freundlich zu mir gewesen.«
    »Also war es wegen der Beförderung?« wollte Marcia wissen. »Stimmt das, was in dem Fax steht?«
    »Es stimmt nicht hundertprozentig, aber es könnte genausogut stimmen«, erklärte Ober. »Ich hab' den Brief geschrieben, und er hat mir zu der Beförderung verholfen.« Schweigen erfüllte das Zimmer, Marcia und Langdon starrten Ober an. Als er den Kopf hob, um die beiden anzusehen, traten ihm Tränen in die Augen. »Was soll ich denn noch sagen? Ich hab' den Brief geschrieben.«
    Langdon sagte zu Marcia: »Wenn Sie wollen, kann ich ihn mitnehmen, um ihn -«
    »Lassen Sie ihn in Ruhe«, herrschte Marcia ihn an. »Wir werden die Sache diskret behandeln. Und ich erwarte von Ihnen, daß Sie Ihre Zusage halten - ich will kein Sterbenswörtchen darüber in der Presse lesen.«
    »Sie wollen vor der Wahl auf Nummer Sicher gehen, nicht wahr?«
    »Was glauben Sie!« Auch Marcia setzte sich wieder. Sie machte sich eilig ein paar Notizen, dann sah sie wieder Ober an. »Wenn Sie Ihre Kündigung einreichen, verzichten wir auf eine Anzeige.«
    »Und was ist, wenn ich meinen Job behalten will?« Obers Gesicht war kalkweiß.
    »Das steht nicht mehr zur Debatte. Sie sind gefeuert. Wenn Sie zuerst Ihre Kündigung einreichen, kann ich uns beiden eine Menge Kopfschmerzen ersparen. Wenn nicht, müssen wir Ihnen in aller Form kündigen, was bedeutet, daß die ganze Sache in Ihre Personalakte aufgenommen wird.«
    »Aber -«
    »So sieht es aus.« Marcia schrieb wieder etwas auf ihren Block.
    Ober erkannte, daß er keine Wahl hatte. »Ich kündige.«
    »Schön.« Marcia legte ihren Kugelschreiber weg. »Sie haben zehn Minuten, um Ihr Büro zu räumen. Lassen Sie Ihren Senatsausweis gleich hier.«
    Während Ober zu seinem Büro zurücktrottete, kreisten seine Gedanken ständig um die Folgen, die die vergangene halbe Stunde für ihn haben würde. Nach zwei Jahren in Washington hatte er nicht das Geringste vorzuweisen - sein erster beruflicher Erfolg war verflogen. Die kurzlebige Beförderung hatte ihm eine leise Ahnung davon gegeben, was es bedeutete, zu den Siegern zu zählen, doch jetzt spürte er, daß er wieder auf die Verliererbahn rutschte. Er konnte sich nie wieder in diesem Büro sehen lassen, und wenn er einem seiner Kollegen auf der Straße begegnete, mußte er ihn über den Grund seiner Kündigung belügen. Auch seinen Eltern und Verwandten mußte er eine erfundene Rechtfertigung dafür präsentieren, daß er nicht mehr im Senat arbeitete. Und da muß ich mir wirklich etwas Überzeugendes einfallen lassen, überlegte er, als er sein Büro betrat. Meine Mutter wird mich umbringen.
    Mit zitternden Händen sammelte Ober seine persönlichen Habseligkeiten ein. Als er sein Universitätszeugnis von der Wand nahm, hatte er Angst, er könnte es fallen lassen. Obwohl er angewiesen worden war, keine Akten aus seinem Büro mitzunehmen, öffnete Ober seine Schreibtischschublade und holte den einzigen Aktenordner heraus, der wirklich ihm gehörte. Er blätterte die dreihundertsiebenundzwanzig Fotokopien von sich selbst durch und dachte an den Tag, an dem er zum ersten Mal ins Büro von Senator Stevens gekommen war und sich ins Kopierzimmer geschlichen hatte, um das erste Porträt zu machen. Er erinnerte sich an seine Erregung, als er das Fotoalbum begonnen hatte, und daran, daß er es vor seinen Mitbewohnern geheimhalten wollte, bis es fertig war. Ich glaube, jetzt ist es endgültig fertig, dachte er, als er auf den Papierstapel in seinen Händen starrte. Ganz und gar fertig. Jetzt kann ich es endlich Eric und Nathan und Ben zeigen. Ben. Ben. Ben. Inmitten des Schweigens um ihn herum stieg Wut in Ober hoch. Er warf den Ordner an die Wand, so daß die dreihundertsiebenundzwanzig Seiten durch die Luft segelten. Was ist nur los mit mir? fragte er sich, während er auf seinem Stuhl zusammensank. Und dann, inmitten der Überreste des Papiersturms, die den Boden seines ehemaligen Büros

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