Der zehnte Richter
hat.«
Lungen hatte den Blick auf den kleinen dunkelgrauen Lautsprecher auf seinem Tisch geheftet. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Wer immer dieser Rick ist, Ben hat unglaublich Angst vor ihm. Es klingt, als würde er erpreßt.«
»Erpreßt oder nicht, er hat gegen das Gesetz verstoßen.«
»Das wissen wir doch gar nicht«, wandte Lungen ein. »Ich glaube, die Hälfte der Geschichte fehlt uns noch.«
»Soll das ein Witz sein?« Fisk blieb stehen. »In den ersten fünf Minuten, in denen dieses Ding läuft, hören wir sie darüber reden, daß jemandem ein Urteil zugespielt werden soll.«
»Wir sollten keine verfrühten Schlüsse ziehen.«
»Wieso verfrüht? Die Sache ist doch glasklar. Egal, wie die beiden da hineingeraten sind, sie planen einen Rechtsbruch.«
»Wir haben das Mikrophon doch erst gestern Abend angebracht. Dann haben wir bis zur Mittagspause daran gearbeitet, es endlich zum Funktionieren zu bringen, und jetzt haben wir gerade mal ein fünf Minuten langes Gespräch gehört. Ich will ja nur sagen, daß wir uns ein wenig mehr Zeit lassen sollten. Ich will alle Fakten auf dem Tisch haben, bevor wir da mir rauchenden Colts reinmarschieren.«
»Glaub mir, die Fakten bekommen wir schon.« Fisk drehte den Lautsprecher auf. »So wie die beiden reden, sucht Richter Hollis nächste Woche nach neuen Assistenten.«
»Das wär's.« Rick klappte wütend sein Handy zu. »Ich hab' genug von dieser Scheiße.« Er öffnete die Beifahrertür und stieg aus dem Wagen.
Aus der Fahrertür stieg Richard Claremont, Vizepräsident der Finanzabteilung von American Steel. »Wie hat er denn reagiert?« fragte er.
Rick schlug die Tür zu. Von seinem Standort aus hatte er das Gerichtsgebäude voll im Blick. »Er hat versucht, mich hinzuhalten.« Unbeeindruckt von dem eisigen Wind, der die First Street entlang fegte, knöpfte Rick nicht einmal seinen Mantel zu. »Er klang nervös, aber er hat eindeutig versucht, mich hinzuhalten.«
»Er hat ja auch gute Gründe, nervös zu sein. Nach allem, was Sie gesagt haben, sieht es doch so aus, als sei sein Leben ruiniert.«
»Allerdings will ich nicht, daß er Angst bekommt«, erklärte Rick, während die beiden auf das Gerichtsgebäude zugingen. »Wenn er Angst hat, geht er vielleicht zur Polizei. Aber wenn er noch daran glaubt, er könnte mich erwischen, haben wir eine bessere Chance, das Urteil zu bekommen.«
»Also glauben Sie, daß er sich noch immer stellen könnte?« fragte Claremont.
»Eigentlich nicht.« Rick sah einer Busladung dick eingemummter Touristen dabei zu, wie sie das höchste Gericht des Landes fotografierten. »Ben sorgt sich zu sehr um seinen Lebenslauf, um so etwas zu tun. Das ist auch der Grund, warum ich ihn überhaupt ausgewählt habe. Er hat viel zu verlieren.«
»Warum sind Sie dann nicht auf Lisa gekommen? Nach dem, was Sie an Unterlagen über sie besitzen, kommt sie aus ähnlichen Verhältnissen.«
»Ben ist die wesentlich bessere Wahl. Lisa ist die klügere der beiden. Sie hätte mir das erste Urteil nie verraten. Ben ist mehr darauf bedacht, anderen zu gefallen. Ich wußte, daß er anbeißen würde.«
»Wenn Sie das sagen ... Obwohl es sich anhört, als wären seine Handlungen nicht so einfach vorauszusehen, wie Sie gehofft haben.«
»Er hat seine lichten Momente«, sagte Rick. »Aber diese Woche hat ihn wirklich zermürbt. Er ist erschöpft.« Rick griff in seine Tasche und holte sein Handy heraus. »Außerdem wird ihm allmählich klar, daß dies kein Spiel mehr ist.«
Selbst zweidimensional siehst du gut aus, dachte Ober, als er die neueste Fotokopie seines Gesichts bewunderte. Er saß an seinem aus Steuergeldern finanzierten Schreibtisch, zog die untere linke Schublade heraus und angelte sich einen dicken Aktenordner, in dem sich bereits dreihundertsechsundzwanzig ähnliche Kopien befanden. Jeden Tag legte Ober sein Gesicht auf die Kopiermaschine und posierte für das schnellste Porträt der Welt, weil er ein Fotoalbum schaffen wollte, wie es sonst niemand hatte. Nachdem er sein neuestes Blatt mit dem Datum versehen hatte, legte er es zu den anderen. Als er den Ordner wieder in seine Schublade legte, sah er Marcia Sturgis, die Personalchefin von Senator Stevens, in seiner Zimmertür stehen.
»Ober, können Sie in mein Büro kommen?« fragte Marcia schroff. Sie war eine Veteranin auf Capitol Hill, hatte bald nach dem Studium als Empfangsdame von Senator Edward Kennedy angefangen und dann beinahe zwanzig Jahre damit verbracht, die
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