Der zehnte Richter
Zimmer.
Ober hing an der Tür des Kleiderschranks, einen Gürtel straff um den Hals. »O mein Gott!« sagte Eric. »O mein Gott! O mein Gott!« »Hilf uns, ihn abzunehmen«, rief Nathan, während er und Ben Ober an den Beinen packten, um ihn anzuheben. »Los, Eric, mach die Tür auf.«
Eric brach in ein lautes Schluchzen aus. Tränenüberströmt stand er mit zitternden Händen da, ohne Nathans Aufforderung zu hören. Das einzige, was er sah, war Ober. »Er ist tot!«
»Mach die verdammte Tür auf!« brüllte Nathan.
Eric zog die Tür des Kleiderschranks auf, so daß Obers Körper nach vorne sackte und zu Boden glitt. Sofort drehte Nathan ihn auf den Rücken und begann mit einer Herzmassage.
»Mach schon!« sagte Ben, während Nathan Obers Nase zuhielt, tief einatmete und versuchte, seinem Freund wieder Leben einzuhauchen.
»Seht euch doch seine Augen an!« schrie Eric, entnervt von Obers starrem Blick. »Er ist tot.«
Nathan schloß Obers Augen und sah Ben an. »Schaff bloß Eric hier raus.«
»Eric, geh nach unten«, sagte Ben. »Ruf einen Rettungswagen.«
Während Eric aus dem Zimmer lief, drückte Nathan kraftvoll auf Obers Brustbein, legte den Kopf auf seine Brust und horchte auf den Herzschlag.
»Da ist kein Puls!« sagte Ben, der Obers Handgelenk hielt.
»Er ist ganz weiß.« Nathan starrte auf Obers bleiche Haut.
»Versuch's weiter«, befahl Ben. »Mach's noch einmal!« Vergeblich blies Nathan Luft in Obers Lungen und begann wieder mit der Herzmassage.
»Hör nicht auf!« schrie Ben, als er Nathans resignierten Blick sah. »Noch mal!«
Wieder versuchte Nathan, seinen Freund ins Leben zurückzuholen. Mit aller Macht drückte er auf Obers Brustbein und versuchte alles, um ihm irgendein Lebenszeichen zu entlocken. Dann lauschte er angestrengt auf den Herzschlag. Schließlich gab er auf. »Vergiß es. Es ist vorbei.«
»Laß mich es versuchen.« Ben schob Nathan zur Seite.
»Ben, es ist vorbei.«
»Hilf mir, ihn runterzubringen!« befahl Ben und hob Obers Füße an. »Vielleicht kann der Notarzt ihn wiederbeleben. Die Rettungswagen haben doch Elektroschock -«
»Es wird nichts nützen.« Nathan setzte sich auf den Boden und lehnte sich gegen Obers Bett. »Er ist tot.«
Während die Sanitäter die Trage aus dem Haus rollten, übergab Ben den Abschiedsbrief und den Ledergürtel den Polizisten, die ebenfalls gekommen waren. Einer der Beamten sprach mit allen drei Hausbewohnern, dann gab er Ben seine Karte. »Ich möchte mich gern noch einmal mit Ihnen unterhalten.«
»Wir kommen morgen aufs Revier«, versprach Ben. Ihm war, als sei jedes Gefühl aus ihm gewichen. Er schloß die Augen, um sich irgendwie von der Welt abzuschirmen, und versuchte, den bohrenden Schmerz in seinem Hinterkopf zu vergessen.
»Die Sache mit Ihrem Freund tut mir wirklich leid«, sagte der zweite Polizeibeamte.
»Danke.« Ben begleitete die beiden Polizisten hinaus. Als der Streifenwagen und der Rettungswagen abfuhren, zog er die Tür zu; dann sackte er auf dem Fußboden zusammen, drehte sich auf den Rücken und versuchte, so gut es ging, klar zu denken. Schließlich wandte er sich an Nathan, der an dem gläsernen Eßtisch saß. »Wo ist Eric?«
Nathan starrte durch die Glasplatte auf seine Füße. »In seinem Zimmer. Er telefoniert mit seiner Mutter.«
»Hat er sich wieder gefangen?«
»Ich denke, ja«, erwiderte Nathan. »Wenn er aufgelegt hat, solltest du Obers Eltern anrufen.«
»Ich soll anrufen? Das kann ich nicht.«
»O doch, das kannst du.« Nathan stand auf und ging zur Treppe.
»Warum denn ich?« Ben folgte ihm.
»Du trägst die Verantwortung«, sagte Nathan schroff.
»Das meinst du doch nicht ernst«, erwiderte Ben drohend.
Nathan drehte sich um und sah Ben ungläubig an. »Trägst du vielleicht nicht die Verantwortung?« Er kam auf Ben zu und baute sich vor ihm auf. »Wer soll denn sonst schuld sein? Vielleicht Ober? Nein, das ist ja schlecht möglich. Dann ist vielleicht Rick schuld? Oder ich? Oder vielleicht Senator Stevens?« »Niemand ist schuld«, unterbrach Ben ihn.
»Tatsächlich? Das war also etwas, das einfach nur so passiert ist?«
»Natürlich ist es nicht einfach nur so passiert. Und wenn die Sache mit mir nicht gewesen wäre, wäre Ober wahrscheinlich noch am Leben. Aber das heißt noch lange nicht, daß ich ihn umgebracht habe.«
»Nein, du hast ihm nur den Gürtel um den Hals gelegt.«
Ein wütendes Schweigen legte sich über das Zimmer. »Du kannst ein echter Dreckskerl sein, weißt
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