Der zehnte Richter
jetzt eine stattfinden. Und wenn es tatsächlich doch schon eine gab, hat er das Gericht bloß gezwungen, noch mehr Druck zu machen.«
»Unmöglich«, sagte Ober.
»Jetzt mach doch mal Pause«, mischte Nathan sich ein. »Was steht denn auf der Karte?«
»Lieber Ben«, las der vor. »Bestimmt wirst du jetzt toben. Ich hoffe aber, daß du mir eine Chance gibst, das Ganze zu erklären. Tut mir leid, daß ich heute so früh weggehen mußte; in der Redaktion war etwas zu erledigen. Dein Freund Eric.«
»Ach Gottchen«, sagte Ben und gab Nathan die Karte. »Ein ganzes Jahr lang ist er nie vor zwölf Uhr mittags aufgestanden, und heute mußte er ganz früh ins Büro? Er ist einfach vor mir davongelaufen.« »Das klingt, als gäbe es eine Erklärung.« Nathan gab die Karte an Ober weiter.
»Was soll er denn schon sagen?« fragte Ben. »Was für eine Erklärung kann es denn überhaupt für so was geben? Tut mir leid, wir hatten noch Platz frei, deshalb hab' ich beschlossen, dich in die Scheiße zu reiten?«
»Vielleicht brauchten sie was anstelle des Silbenrätsels?« schlug Ober vor.
»Ober, laß deine blöden Witze«, warnte Ben. »Für mich ist das eine absolut ernste Sache. Dieser Artikel kann zu meinem Rausschmiß führen.« Er lehnte sich an Erics Kommode und schwieg. Nathan und Ober betrachteten ihn wortlos. »Verdammt!« brüllte Ben schließlich und wischte einen Papierstapel von der Kommode. »Jetzt untersuchen sie die Sache ganz bestimmt. Sie können das da ja nicht einfach ignorieren.«
»Du mußt mit ihm reden«, sagte Nathan. »Ruf ihn doch an.«
Ben sah auf seine Uhr. »Ich bin sowieso schon spät dran. Ich muß jetzt los.« Er polterte die Treppe hinunter, riß seinen Mantel aus dem Garderobenschrank und stürmte aus dem Haus.
»Das wird unangenehm«, sagte Nathan, als die Haustür zuschlug.
»Hast du davon gewußt?« fragte Ober.
»Natürlich nicht.«
»Ich schon.« Ober setzte sich auf Erics Bett.
»Du hast es gewußt?« fragte Nathan. »Du hast's gewußt und ihn nicht davon abgebracht?« »Das war absolut unmöglich«, erklärte Ober. »Du weißt doch, wie es ist, wenn Eric auf Reporter schaltet. Er will unbedingt den Pulitzer-Preis gewinnen.«
»Hast du ihm denn wenigstens Vorhaltungen gemacht?«
»Natürlich«, sagte Ober. »Er hat nicht zugehört. Außerdem war es schon zu spät. Er hat's mir erst gestern Abend erzählt.«
»Mit der Freundschaft zwischen den beiden ist es vorbei, das sag' ich dir.« Nathan hob die auf dem Boden liegenden Papiere auf. »Und Ben ist nicht der Typ, den man gern als Feind haben möchte.«
»Er wird ihn umbringen«, sagte Ober.
»Mit Sicherheit. Das vergißt er ihm nie. Egal, wie lange er dazu braucht, er wird dafür sorgen, daß Eric sich hundeelend fühlt.«
»Vielleicht sollten wir einen Aushang machen: Mitbewohner gesucht«, sagte Ober.
»Eigentlich könntest du das ja heute im Büro machen, hm? Ungefähr so: Suchen gemäßigt schlampigen Mieter als Ersatz für einen verblichenen Mitbewohner. Muß bereit sein, mit einem Genie, einem Affen und einem Assistenten am Obersten Gerichtshof zusammenzuleben, der seit kurzem zur Gewalttätigkeit neigt.«
Während er aufs Gerichtsgebäude zuging, versuchte Ben mit aller Macht, sich zu beruhigen. Tief und langsam atmend stieg er die Freitreppe empor und betrat den Marmorbau. Mit zusammengebissenen Zähnen zeigte er seinen Ausweis vor und ging am Metalldetektor vorbei. Auf jede nur mögliche Weise bemüht, ruhig zu erscheinen, machte er besonders kleine Schritte, um sein Tempo zu drosseln. Erleichtert bemerkte er im Vorzimmer, daß die Sekretärin noch nicht eingetroffen war, dann betrat er sein Büro und schloß vorsichtig die Tür hinter sich.
»Du hast es wahrscheinlich schon gesehen, hm?« fragte Lisa. Die Zeitung lag aufgeschlagen auf ihrem Tisch.
»Ich will nicht darüber reden.« Ben ging wütend auf seinen eigenen Schreibtisch zu. »Jedenfalls kann er sich begraben lassen.«
»Hast du schon mit ihm gesprochen?«
»Er ist abgehauen, bevor ich aufgestanden bin. Hat schon jemand was gesagt?«
»Bisher noch nicht. Es ist allerdings erst sieben. Der Tag ist noch jung.«
»Großartig. Vielen Dank für diese konstruktive Bemerkung.«
»Hör mal, es ist doch bloß der Washington Herald. Jeder Mensch weiß, daß das ein rechtsgerichtetes, vollkommen absurdes Revolverblatt ist. Niemand nimmt es ernst.« Da Ben nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Es ist noch nicht mal auf die Titelseite
Weitere Kostenlose Bücher