Der zehnte Richter
daß in Verbindung mit der vor kurzem verkündeten Entscheidung in der Sache CMI womöglich Vorabinformationen nach außen gedrungen sind. Ich wüßte gern, ob Sie mir dazu etwas sagen können. Wenn Sie wollen, werde ich Ihre Identität geheimhalten.«
Ben zog seine oberste Schublade auf und holte einen dünnen Papierstapel hervor. Sorgsam darauf bedacht, Lisa nicht beim Wischen zu stören, fand er rasch das Blatt, nach dem er suchte. Dann las er wörtlich vor, was dort unter dem Titel »Reaktion auf Presseanfragen« zu lesen war: »Ich freue mich über Ihr Interesse an dieser Angelegenheit, aber als Assistent am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten ist es mir nicht gestattet, der Presse gegenüber Aussagen zu machen.«
»Sie sagen also, daß eine Untersuchung stattfindet, daß Sie aber nicht darüber sprechen können?«
»Ms. Martin, ich habe nichts weiter dazu zu sagen.« Ben warf seine Vorlage beiseite. »Vielen Dank für Ihren Anruf.« Als er den Hörer auflegte, war Lisa gerade mit dem Aufwischen des Kaffees fertig. »Danke dir«, sagte er und rieb die letzte Feuchtigkeit von der Unterseite seines Bleistiftspitzers.
»Gern geschehen.« Lisa ging zu ihrem Tisch zurück. »War das wirklich jemand von der Presse?«
»Ich kann's kaum glauben«, meinte Ben. »Das war die Washington Post.«
»Was wollten die denn?«
»Sie haben mich nach dem Artikel gefragt. Ich hab' mir fast in die Hose gemacht.«
»Dafür hast du dich aber ganz souverän angehört«, sagte Lisa. »Jedenfalls hast du das Richtige getan. Dafür gibt es ja die Presseanweisung.«
»Als ich das Ding im August bekommen habe, hätte ich nie gedacht, daß ich es mal benützen muß.« Ben legte das Blatt wieder in die oberste Schublade. »Meinst du, daß sie was wissen?«
»Nein. Wahrscheinlich rufen sie bei jedem von uns an. Bestimmt wissen sie, daß man aus Leuten in unserer Position am leichtesten Informationen rauskitzeln kann.«
»Ich glaube wirklich, daß sie was wissen. Sie müssen einfach was wissen.«
»Sie wissen überhaupt nichts. Eigentlich überrascht es mich, daß wir nicht schon öfter Anrufe von der Presse bekommen haben. Ich hab' nämlich gehört, daß man sich vor jeder wichtigen Entscheidung bei uns meldet.«
»Aber dich haben sie nicht angerufen«, beharrte Ben. »Erklär mir das doch mal, du Optimis...« Mitten in seinen Satz hinein läutete Lisas Telefon.
Lisa grinste. »Hallo, hier ist das Amtszimmer von Richter Hollis.« Ben spitzte die Ohren. »Schon, aber ich hab' jetzt wirklich keine Zeit. Kann ich dich zurückrufen? Ja, jetzt ist es einfach ungünstig.«
»Wer war das?« fragte Ben, sobald Lisa aufgelegt hatte.
»Bloß eine alte Studienfreundin.« Lisa ging hinüber zu Bens Schreibtisch. »Hör mal, das braucht dich doch nicht so mitzunehmen. Ich bin sicher, daß die bloß ihre Liste abtelefonieren. Mein Anruf wird schon noch kommen.«
»Egal«, sagte Ben. »Ist ja auch keine große Sache. Schließlich sind sie von der Presse, und die ist dazu da, solche Sachen herauszukriegen. Es ist ihr Job, mein Leben zu ruinieren.«
»Ben, dein Leben ist doch noch keineswegs ruiniert.«
»Hör mal, auf die aufmunternden Sprüche kannst du verzichten. Ich weiß, in was ich da reingerutscht bin, und mir wird schon was einfallen, wie ich wieder rauskomme.«
»Es geht nicht darum, daß du dir was einfallen lassen mußt. Du bist doch gar nicht in der Klemme. Kein Mensch weiß, daß du es warst. Außerdem - wenn es zum Schlimmsten kommt, kannst du immer noch kellnern gehen.«
»Sehr lustig«, bemerkte Ben und ging zur Tür.
»Wo willst du hin?« »Ich hab' eine saublöde Verabredung zum Mittagessen mit jemandem von der Kanzlei, wo ich vor zwei Jahren hospitiert habe.«
»Wollen die dir 'ne Stelle anbieten?«
»Wahrscheinlich.«
»Warum gehst du überhaupt hin?« fragte Lisa. »Wenn du Staatsanwalt werden willst, brauchst du kein Angebot von einer Kanzlei. Du solltest direkt zur Staatsanwaltschaft gehen.«
»Schön wär's. Aber die Staatsanwaltschaft wird mich nicht beim Abzahlen der ganzen Schulden unterstützen, die ich vom Studium her habe.«
»Du hast noch immer Schulden aus der Unizeit? Ich dachte, deine Eltern seien leitende Angestellte der wohlhabenden Sorte?«
»Meine Mutter hat zwar so eine Position, aber meine Familie hat trotzdem nicht so viel Geld. Außerdem wollte ich meine Ausbildung selbst bezahlen.«
»Ehrlich?«
»Das war schließlich meine Sache. Ich bin derjenige, der Jura studiert hat, und ich
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