Der zehnte Richter
einzige Erklärung. So hat er ... Unter dem Glastisch entdeckte Ben ein kleines, dunkles Objekt. Blitzschnell lag er auf den Knien, um es genauestens zu studieren. Es war bloß ein Klümpchen Schmutz von jemandes Schuhen. Unbeeindruckt hob Ben den Tisch an und suchte unter jedem seiner Beine nach Ricks Mikrophon. Dann untersuchte er jeden Stuhl. Er kippte die Sofas um, hob die Polster, drückte die Kissen zusammen, warf den Couchtisch um, ließ die Hände über die Rückseite jedes Bilderrahmens gleiten, überprüfte den Fernseher, drehte den Videorecorder um, untersuchte jede Videokassette, machte sich dann an den Garderobenschrank, durchsuchte alle Manteltaschen, klappte jeden Schirm auf, lugte in Baseballhandschuhe, spähte in Dosen mit Tennisbällen, suchte hinter der Kloschüssel, räumte den Kühlschrank aus, stöberte in allen Schränken, hob jedes Küchengerät an, leerte jede Schublade, sah sich jede Lampe an und nahm jedes Telefon auseinander. Als er fertig war, war das Erdgeschoß verwüstet. Gefunden hatte er nichts.
Reiß dich zusammen, sagte er zu sich selbst. Sein Hemd war schweißdurchnäßt. Flipp jetzt bloß nicht aus. Nachdem er die Küche, die Toilette und das Wohnzimmer wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt hatte, warf er sich auf das große Sofa. Auf dem Bauch liegend, ließ er seinen rechten Arm zu Boden sinken und zupfte am Teppichboden. Als er wieder zu Atem gekommen war, kam Ben zu einem Entschluß: Was immer auch geschieht, deinen Freunden mußt du vertrauen. Das ist die einzige Möglichkeit, normal zu bleiben. Du mußt deinen Freunden vertrauen.
Als Bens Mitbewohner wieder eintrafen, ging Nathan eilig auf die Toilette und Ober in die Küche, während Eric vor dem Fernseher aufs Sofa sank. Ben hatte das Schlagen der Haustür gehört und kam aus seinem Zimmer nach unten, wo Ober sich gerade an einem Becher Eiskrem zu schaffen machte. »Wie kannst du bloß noch hungrig sein?« fragte Ben. »Hast du nicht eben erst ein ganzes Menü bekommen?«
»Ich bin doch noch am Wachsen«, erklärte Ober.
Nathan kam ins Wohnzimmer. »Wie fühlst du dich?« fragte er Ben. »Machst du dir immer noch Sorgen wegen Rick?«
»Natürlich mache ich mir noch Sorgen. Aber ich hab' mich beruhigt. Ich mußte bloß eine Zeitlang allein sein.« Ben setzte sich neben Eric auf die Couch. »Wie war das Essen?«
»Du hast echt was versäumt«, erklärte Ober, der noch immer mit seinem Eis beschäftigt war. »Erics Tante ist schärfer denn je!«
»Könnten wir vielleicht aufhören, über sie zu reden?« flehte Eric.
»Hör mal, wir verstehen schon, warum du glaubst, deinen Beschützerinstinkt spielen lassen zu müssen; aber du mußt den Tatsachen ins Auge sehen«, stellte Nathan fest. »Deine Tante ist absolut sexy.«
»Das versteh' ich nicht«, sagte Eric. »Sie ist doch nicht einmal besonders hübsch.« »Du wirst es nie verstehen«, erklärte Nathan. »Es ist ihre Aura. Sie spricht uns an.«
»Hat sie immer noch das Bild von sich im Bikini auf dem Kühlschrank stehen?« erkundigte sich Ben.
Ober grinste. »Momentan nicht.« Er griff in seine Gesäßtasche, zog das Foto heraus und warf es Ben zu. »Ich hab' mir gedacht, du brauchst 'ne kleine Aufmunterung.«
»Habt ihr das Bild etwa von ihrem Kühlschrank geklaut?« Eric schielte Ben über die Schulter.
»Wir haben's nur geborgt«, erklärte Ober. »Wir werden es zurückgeben. Ich wollte Ben bloß demonstrieren, was er versäumt hat.«
»Hört mal, ihr Perverslinge«, sagte Eric. »Wir reden gerade über meine Tante.«
»Was würde eigentlich passieren, wenn du mit ihr schlafen würdest?« fragte Ober. »Wären eure Kinder Mutanten oder so was?«
»Wie nennt man noch mal durch Inzucht gezeugte Kinder?« fragte Nathan.
»Ich glaube, man nennt sie Obers «, sagte Eric.
»Das ist jetzt aber echt lustig«, erwiderte Ober. »Da brüllt der Saal vor Lachen.«
Getröstet durch das kameradschaftliche Geplänkel, war Ben nun noch mehr davon überzeugt, daß der Brief nur eines von Ricks Psychospielen war. Er gab das Foto an Nathan weiter und legte die Hand auf Erics Schulter. »Ich wollte dir eigentlich sagen, daß ich ein schönes Stück Tratsch für dich habe. Aber du mußt es geheimhalten, bis ich dir freie Bahn geben kann.« »Schieß los«, sagte Eric, während Nathan das Bild seiner Tante bewunderte.
»Sagen wir mal nur soviel: Wenn du in den nächsten paar Tagen dein journalistisches Gespür beweisen mußt, erkundige dich doch einfach über ein
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