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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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ältere Unterlagen aus der Zeit, als deine Mutter weggegangen ist – einen Bericht, den dein Onkel verfasst hat, und eine Beurteilung vom Jugendamt.«
    »An die Zeit kann ich mich sowieso nicht mehr erinnern.« Mir fiel plötzlich ein, dass ich schon tagelang nicht mehr an meine Mutter gedacht hatte. Die Tage kamen mir wie Jahre vor. »Außerdem ist Mom nicht weggegangen.«
    »Nicht?«
    Ich bereute schon, dass ich überhaupt etwas gesagt hatte, deswegen zuckte ich nur die Schultern, verschränkte die Arme und betrachtete die Bücherwand. »Haben Sie die alle gelesen?«
    »Ja.«
    »Dann sind Sie bestimmt sehr klug.«
    »Ich weiß nicht, ob man Belesenheit mit Intelligenz gleichsetzen kann. Man kann auch Bücher auf Suaheli lesen und kein Wort verstehen. Einmal habe ich mir ein Buch über Quantenphysik vorgenommen, da konnte ich zwar den Text lesen, habe aber nicht das Geringste kapiert.«
    »Das gilt nicht. Können Sie denn Suaheli?«
    »Nein, aber Französisch und Deutsch. Und du?«
    »Ich habe Spanisch in der Schule. Eigentlich wollte ich Japanisch nehmen, aber unsere Schule ist zu klein und Japanisch wird nicht angeboten.«
    »Wozu denn Japanisch?«, fragte Dr. Rainier erstaunt, dann hellte sich ihr Gesicht auf: »Du magst bestimmt Anime.«
    »Ja, genauso wie Manga. Vor allem Hellsing . Alucard finde ich gut.«
    Sie nickte. »Den kenne ich auch. Was gefällt dir denn so gut an ihm?«
    »Sie wissen aber schon, dass der Name ›Alucard‹ rückwärts gelesen ›Dracula‹ heißt, oder? Der Typ ist einfach … cool. Er trägt diesen roten Mantel, ist mächtig und grausam, jagt Ghule und böse Vampire und …«
    »Ja?«
    »Jetzt ziehen Sie daraus, dass ich mich für solches Zeug interessiere, Ihre Schlüsse über mich, stimmt’s?«
    »Schon, aber du interessierst dich auch für Kunst – das sagt genauso viel über dich aus.«
    »Alles über mich wollen Sie bestimmt nicht wissen.«
    »Wieso nicht? Wir haben alle schon Dinge erlebt, über die wir nicht gern sprechen, Christian – unsere ganz persönlichen Höllen.«
    »Okay – was haben Sie denn zum Beispiel schon für schlimme Dinge erlebt?«
    Sie legte den Kopf schief und betrachtete mich – lange genug, dass mir unbehaglich wurde. Schließlich sagte sie: »Weißt du, um als Arzt einen Herzinfarktpatienten zu behandeln, muss man nicht selbst einen Herzinfarkt gehabt haben. Und ich brauche nicht selbst ein axtschwingender Mörder zu sein, um mit solchen Leuten umgehen zu können. Allerdings …«, jetzt schmunzelte sie, »wie heißt es doch so schön? Um zu merken, dass jemand nicht richtig im Kopf ist, muss man entweder hundertprozentig normal sein oder selbst durchgeknallt. Ich würde mich irgendwo dazwischen einordnen.«
    »Sie sind also nicht total durchgeknallt.«
    »Ich hab manchmal meine fünf Minuten, aber total durchgeknallt bin ich nicht.«
    Das fand ich sympathisch. »Wie kommt’s, dass Sie keine Angst vor mir haben?«
    »Du meinst, abgesehen davon, dass du mir die Pistole auf die Brust setzt? Wovor sollte ich denn Angst haben?«
    Ich kam mir dumm vor. »Weiß nicht … viele Leute haben Angst vor mir.«
    »Du meinst, wegen der Sache mit deiner Lehrerin? Mit Betty Stefancyzk?« Sie zuckte die Achseln. »Damals habeich noch nicht in Winter gelebt. Ich weiß nur, dass Miss Stefancyzk einen Nervenzusammenbruch hatte, aber nicht, was das mit dir zu tun haben soll. Wenn die Berichte stimmen, die ich gelesen habe, litt Miss Stefancyzk an einer manisch-depressiven Störung. Ich gehe davon aus, dass sie ihre Medikamente nicht vorschriftsmäßig genommen hat.«
    »In ihrem Abschiedsbrief hat sie geschrieben, ich wäre schuld an ihrem Tod.«
    »Ja und?«
    »Na ja …« Ich dachte an mein Erlebnis mit Lucy und an Tante Jean. »Themawechsel.«
    »Gut. Wie war das mit dem Graffiti an der Scheune? Wie kam es dazu?«
    »Ich … Ich kann mich nicht dran erinnern, dass ich das war.«
    »Dann bist du wohl schlafgewandelt. Was hast du dort auf die Wand gesprüht? Etwas aus einem Alptraum?«
    Aber nicht aus meinem eigenen. Mir fiel ein, dass Onkel Hank von einem Mord in der Scheune erzählt hatte. Zum ersten Mal dämmerte mir, dass es vielleicht das war, was ich gesehen hatte. Ein »karmischer Rückstand«, wie er angeblich nach schrecklichen Unglücksfällen oder Verbrechen in Spukhäusern zurückbleibt. Aber warum war es mir jetzt passiert? Ich lebe schon immer in Winter, war vorher nie in die Nähe der alten Scheune gekommen und hatte auch noch niemals etwas von dem

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