Der Zeitdieb
hatte er sich bei den Einzelheiten erstaunlich große Mühe gegeben. So stand ein dampfender Teebecher auf der Werkbank, und Stimmen ertönten hinter der Tür…
Jemand klopfte an die Tür. Jeremy fragte sich, ob der Traum endete, wenn er die Tür öffnete, und dann verschwand die Tür, ohne dass das Klopfen aufhörte. Es kam von unten.
6.47 Uhr. Jeremy sah zu den Weckern, um sich zu vergewissern, dass mit ihnen alles in Ordnung war. Dann streifte er den Bademantel über, eilte nach unten und öffnete die Vordertür einen Spalt. Es war niemand da.
»Nee, hier unten.«
Jeremy senkte den Blick und sah einen Zwerg.
»Lautet dein Name Uhrsohn?«, fragte er.
»Ja?«
Ein Klemmbrett wurde durch die Öffnung geschoben.
»Unterschreib da. Danke. Also los, Jungs…«
Hinter ihm kippten zwei Trolle einen Handwagen. Eine große Holzkiste prallte aufs Kopfsteinpflaster.
»Was ist das?«, fragte Jeremy.
»Ein Eilpaket«, sagte der Zwerg und nahm das Klemmbrett zurück. »Kommt den ganzen weiten Weg aus Überwald. Hat bestimmt einen Haufen Geld gekostet. Sieh dir nur die vielen Siegel und Aufkleber an.«
»Könnt ihr es herein…?«, begann Jeremy, aber der Karren rollte bereits weiter, mit dem fröhlichen Klimpern und Klappern zerbrechlicher Gegenstände.
Es begann zu regnen. Jeremy sah auf die Adresse. Dort stand tatsächlich sein Name, in klarer, präziser Handschrift, und darüber erkannte er ein Siegel mit der doppelköpfigen Fledermaus von Überwald. Andere Kennzeichnungen waren nicht vorhanden, abgesehen von zwei Worten ganz unten:
Plötzlich fluchte die Kiste. Die Stimme klang dumpf und benutzte eine andere Sprache, aber Fluchen ist international.
»Äh… hallo?«, fragte Jeremy.
Die Kiste wackelte und kippte auf eine lange Seite, was weitere Flüche zur Folge hatte. In ihrem Innern pochte es, untermalt von lauteren Flüchen. Sie kippte erneut und stand wieder aufrecht, diesmal mit der richtigen Seite nach oben.
Ein Brett löste sich, und ein Brecheisen fiel mit metallenem Klappern aufs Pflaster. Die Stimme, die zuvor geflucht hatte, sagte nun »Wenn du bitte so freundlich wärft…«
Jeremy schob das Brecheisen in einen viel versprechend wirkenden Spalt und bewegte es wie einen Hebel.
Die Kiste platzte auf. Jeremy ließ das Brecheisen fallen, als er ein… Geschöpf sah.
»Ich weiff nicht«, sagte es und schüttelte Packpapier ab. »Acht verdammte Tage ohne Probleme, aber die Idioten ftellen die Kifte vor der Tür def Empfängerf falsch herum ab.« Das Wesen nickte Jeremy zu. »Guten Morgen, Herr. Du bift Herr Jeremy?«
»Ja, aber…«
»Ich bin Igor, Herr. Hier find meine Referenfen, Herr.«
Eine Hand – sie sah aus wie ein von Nähten zusammengehaltener Industrieunfall – streckte Jeremy ein Bündel Papiere entgegen. Er schreckte unwillkürlich zurück, geriet dann in Verlegenheit und nahm das Bündel entgegen.
»Ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor«, sagte er.
»Nein, nein, kein Irrtum«, erwiderte Igor und zog eine Reisetasche aus den Resten der Kiste. »Du brauchft einen Affiftenten. Und wenn man einen Affiftenten braucht, dann liegt man mit einem Igor genau richtig. Daf ift allgemein bekannt. Könnten wir jetzt inf Hauf gehen? Der Regen läfft meine Fähne roften.«
»Aber ich brauche doch gar keinen Assistenten…«, begann Jeremy. Doch das stimmte nicht. Er konnte keine Assistenten behalten. Nach höchstens einer Woche verließen sie ihn.
»Guten Morgen, Herr!«, erklang eine fröhliche Stimme.
Ein anderer Karren hielt an. Er war in einem glänzenden, hygienischen Weiß gestrichen und voller Milchkannen. Auf der einen Seite stand »Ronald Soak, Milchmann«. Geistesabwesend blickte Jeremy zum strahlenden Gesicht von Herrn Soak empor, der in jeder Hand eine Flasche Milch hielt.
»Eine Flasche wie üblich, Chef. Und vielleicht noch eine zweite, da du jetzt Gesellschaft hast?«
»Äh, äh… ja, danke.«
»Und der Joghurt ist diese Woche besonders gut, Chef«, sagte Herr Soak ermutigend.
»Äh, nein, ich glaube nicht, Herr Soak.«
»Brauchst du vielleicht Eier, Sahne, Butter, Buttermilch oder Käse?«
»Nein, äh, derzeit nicht, Herr Soak.«
»Na schön«, sagte Herr Soak unbeeindruckt. »Dann bis morgen.«
»Äh, ja«, entgegnete Jeremy, als der Karren weiterrollte. Herr Soak war ein Freund, was in Jeremys sehr begrenztem sozialen Vokabular »jemand, mit dem ich ein- oder zweimal in der Woche spreche« bedeutete. Er schätzte den Milchmann, denn er kam regelmäßig,
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