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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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»Ja, Kehrer. Ja, ich war ein Findelkind. Ja, man nennt uns Ludds Jungen und Mädchen, nach einem der Gildengründer. Ja, so lautet mein Adoptiv name. Ja, es war ein gutes Leben, und manchmal sehne ich mich danach zurück.«
    Lu-Tze schien das alles gar nicht zu hören. »Wer hat dich hierher geschickt?«
    »Ein Mönch namens Soto hat mich gefunden. Er meinte, ich hätte Talent.«
    »Marco? Der mit all dem Haar?«
    »Ja. Ich dachte, bei Mönchen ist ein kahl geschorener Schädel Vorschrift.«
    »Oh, Soto betont, dass sein Kopf unter dem Haar kahl ist«, erwiderte Lu-Tze. »Er bezeichnet sein Haar als ein separates Geschöpf, das zufälligerweise auf ihm lebt. Als er mit der Erklärung kam, beauftragte man ihn schnell mit einem Außeneinsatz. Ein hart arbeitender Bursche, und sehr freundlich, solange man sein Haar nicht berührt. Hier gibt es eine wichtige Lektion: Dort draußen überlebt man nicht, indem man alle Regeln beachtet, und das gilt auch für diejenigen, die sich auf geistige Dinge beziehen. Welchen Namen hast du hier erhalten?«
    »Lobsang, Ehr… äh, Kehrer.«
    »Lobsang Ludd?«
    »Äh… ja, Kehrer.«
    »Erstaunlich. Nun, Lobsang Ludd, du hast versucht, meine Überraschungen zu zählen. Alle versuchen das. Überraschung ist die Natur der Zeit, und fünf ist die Zahl der Überraschung.«
    »Ja, Kehrer. Ich habe die kleine Brücke gefunden, die sich zur Seite neigt, wodurch man in den Karpfenteich fällt…«
    »Gut. Gut.«
    »Und ich habe die Bronzeskulptur des Schmetterlings entdeckt, der mit den Flügeln schlägt, wenn man ihn anhaucht…«
    »Das sind zwei.«
    »Dann wären da die Gänseblümchen, die einen überraschenderweise mit giftigen Pollen besprühen…«
    »Ah, ja. Viele Leute finden sie außerordentlich überraschend.«
    »Und die vierte Überraschung ist vermutlich die jodelnde Stabheuschrecke.«
    »Ausgezeichnet«, sagte Lu-Tze und strahlte. »Sie ist sehr gut, nicht wahr?«
    »Aber die fünfte Überraschung konnte ich bisher nicht finden.«
    »Ach?«, erwiderte Lu-Tze. »Gib mir Bescheid, wenn du sie gefunden hast.«
    Lobsang Ludd dachte darüber nach, als er dem Kehrer folgte.
    »Der Garten der fünf Überraschungen ist eine Prüfung«, sagte er schließlich.
    »O ja. Das gilt praktisch für alle Dinge.«
    Lobsang nickte und erinnerte sich an den Garten der vier Elemente. Jeder Novize fand die Bronzesymbole der ersten drei – im Karpfenteich, unter einem Stein, an einen Milan gemalt –, aber Lobsangs Klassenkameraden hatten vergeblich nach »Feuer« Ausschau gehalten. Nirgends im Garten ließ sich etwas Feuriges entdecken.
    Nach einer Weile gingen Lobsang folgende Gedanken durch den Kopf: Es gab tatsächlich fünf Elemente, wie die Meister lehrten. Aus vieren bestand das Universum, und das fünfte, die Überraschung, sorgte dafür, dass es immer wieder neu entstehen konnte. Niemand hatte gesagt, dass die vier Elemente des Gartens die materiellen vier waren, und deshalb konnte das vierte Element des Gartens aus der Überraschung bestehen, dass das Feuer fehlte. Außerdem gab es in einem Garten normalerweise kein Feuer, und die anderen Zeichen waren, im wahrsten Sinne des Wortes, ganz in ihrem Element. Anschließend hatte Lobsang die weiter unten gelegenen Bäckereien aufgesucht, um dort Feuer zu finden, rot und heiß unter den Brotlaiben.
    »Ich nehme an, die fünfte Überraschung… besteht darin, dass es gar keine fünfte Überraschung gibt«, sagte Lobsang.
    »Ein guter Versuch, aber da hast du leider Pech gehabt«, erwiderte Lu-Tze. »Und steht nicht geschrieben ›Oh, du bist so scharfsinnig, dass du dich eines Tages schneiden könntest‹?«
    »Äh, das habe ich nicht in den heiligen Texten gelesen, Kehrer«, sagte Lobsang unsicher.
    »Nein, wohl kaum.«
    Sie traten aus dem hellen Sonnenschein in die tiefe Kühle des Tempels, wanderten durch uralte Korridore und über in den Fels gemeißelte Treppen. Das Geräusch fernen Gesangs folgte ihnen. Lu-Tze, der nicht heilig war und deshalb unheilige Gedanken denken konnte, fragte sich, ob die singenden Mönche tatsächlich etwas sangen oder einfach nur »Aahaaahahah« machten. Angesichts der vielen Echos konnte man nicht sicher sein.
    Er wandte sich vom Hauptflur ab und griff nach den Klinken einer großen roten Doppeltür. Dann zögerte er und blickte über die Schulter. Lobsang war einige Meter entfernt stehen geblieben.
    »Kommst du?«
    »Nicht einmal Dongs dürfen diesen Bereich betreten!«, brachte Lobsang hervor. »Man muss

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