Der Zeitdieb
Boden. »Sieh darin einen neuen Anfang in deinem Leben.«
Neulich fiel. Er prallte auf den Boden. Es leuchtete purpurn in der leeren Luft, der Karren auf der anderen Straßenseite sprang dreißig Zentimeter nach oben und fiel dann zurück. Ein Rad löste sich und rollte davon.
Soto bückte sich erneut und schüttelte Neulichs schlaffe Hand.
»Wie geht’s?«, fragte er. »Irgendwelche blauen Flecken?«
»Es tut ein bisschen weh«, antwortete der ein wenig mitgenommene Neulich.
»Vielleicht bist du schwerer, als du aussiehst. Wenn du gestattest…«
Soto ergriff Neulich unter den Schultern und begann, ihn durch den Dunst zu ziehen.
»Kann ich gehen und…?«
»Nein.«
»Aber die Gilde…«
»Du existierst nicht in der Gilde.«
»Das ist doch absurd. In den Aufzeichnungen der Gilde ist mein Name aufgeführt.«
»Nein. Wir sorgen dafür, dass er aus den Aufzeichnungen verschwindet.«
»Wie denn? Man kann die Geschichte nicht einfach neu schreiben!«
»Bist du bereit, einen Dollar darauf zu wetten?«
»Wem habe ich mich angeschlossen?«
»Wir sind die geheimste Geheimgesellschaft, die du dir vorstellen kannst.«
»Wirklich? Wer seid ihr?«
»Die Geschichtsmönche.«
»Habe nie von euch gehört.«
»Na bitte. So gut sind wir.«
Und so gut waren sie.
Und dann war die Zeit einfach vorbeigeströmt.
Und jetzt kehrte die Gegenwart zurück.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Junge?«
Lobsang öffnete die Augen. Sein Arm fühlte sich an, als versuchte etwas, ihn aus der Schulter zu reißen.
Er sah am Arm entlang zu Lu-Tze, der flach auf der schwankenden Seilbrücke lag und ihn festhielt.
»Was ist passiert?«
»Ich glaube, die Aufregung war zu viel für dich, Junge. Oder dir wurde schwindelig. Sieh nur nicht nach unten.«
Ein lautes Brummen ertönte unter Lobsang, wie von einem Schwarm sehr zorniger Bienen. Ganz automatisch drehte er den Kopf.
»Ich habe gesagt, sieh nicht nach unten! Entspann dich.«
Lu-Tze stand auf. Er hob Lobsang so hoch, als wäre er leicht wie eine Feder, bis sich die Sandalen des Jungen über dem Holz der Brücke befanden. Unten hasteten Mönche über die Kabelwege und riefen.
»Halt die Augen geschlossen… sieh nicht nach unten !… und ich bringe uns zur gegenüberliegenden Seite, in Ordnung?«
»Ich, äh, habe mich an… die Stadt erinnert, an die Begegnung mit Soto… Ich habe mich erinnert«, stammelte Lobsang und folgte dem Mönch mit unsicheren Schritten.
»Das war zu erwarten«, erwiderte Lu-Tze.
»Aber ich habe mich an die Stadt erinnert, um mich dort daran zu erinnern, dass ich hier bin, bei dir und dem Mandala!«
»Steht in den heiligen Texten nicht geschrieben ›Es geschehen viele Dinge, über die wir nichts wissen, meiner Meinung nach‹?«, entgegnete Lu-Tze.
»Ich… entsinne mich nicht daran, solche Worte gelesen zu haben, Kehrer«, sagte Lobsang. Er spürte kühlere Luft, was darauf hinwies, dass sie den Felstunnel auf der anderen Seite des riesigen Raums erreicht hatten.
»In den hiesigen Schriften wirst du leider vergeblich danach Ausschau halten«, meinte Lu-Tze. »Ah, du kannst die Augen jetzt wieder öffnen.«
Sie gingen weiter, und Lobsang rieb sich die Stirn, um seine seltsamen Gedanken zu verscheuchen.
Hinter ihnen verblassten und verflüchtigten sich die dunklen Wirbel, die sich an der Stelle gebildet hatten, wo Lobsang ins Mandala gefallen wäre.
Nach der Ersten Schriftrolle des ewig überraschten Wen erreichten Wen und Tolpatsch das grüne Tal zwischen den hohen Bergen, und Wen sagte: »Dies ist der Ort. Hier wird ein Tempel stehen, dem Falten und Entfalten der Zeit gewidmet. Ich kann ihn sehen.«
»Ich nicht, Meister«, erwiderte Tolpatsch.
»Er steht dort drüben.« Wen deutete in die entsprechende Richtung, und sein Arm verschwand.
»Ah«, sagte Tolpatsch. » Dort drüben.«
Einige Blütenblätter schwebten auf Wens Kopf herab. Sie stammten von den Kirschbäumen, die an den Bächen wuchsen.
»Und dieser perfekte Tag wird ewig dauern«, sagte er. »Die Luft ist frisch, die Sonne scheint, und Eis treibt auf den Bächen. Jeder Tag in diesem Tal wird dieser perfekte Tag sein.«
»Könnte eintönig werden, Meister«, gab Tolpatsch zu bedenken.
»Diesen Eindruck hast du, weil du nicht weißt, wie man mit der Zeit umgeht«, sagte Wen. »Ich werde dich lehren, mit der Zeit so umzugehen wie mit einem Mantel, den du trägst, wenn es notwendig ist, und den du abstreifst, wenn du ihn nicht brauchst.«
»Muss ich ihn waschen?«,
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